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Rosenstock-Huessy: Wer sind die Götter? (1954)

Ansprache vom 25. Juni 1956 in der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule, Bethel bei Bielefeld, nach der Aufführung von Hölderlins „Empedokles”.

Unser Gott ist offenbar. Unser Gott läßt sich erbitten. Unserm Gott kann widerstanden werden. Unser Gott öffnet unsere Lippen zu einem noch nie gehörten Wort.

Aber die Götter sind geheim. Die Götter sind unwiderstehlich und unerbittlich. Die Götter werfen uns in die Knie, und sie machen uns verstummen.

In der alten Kirche knieten die Gläubigen nicht nieder in der hohen Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. Sie standen hochaufgerichtet; denn Gott war in sie als seinen Leib eingetreten und machte seine Glieder hochgemut. Nur in den geistverlasseneren Zeiten des Kirchenjahres überwältigen die Elohim, die Götter, die schwachen und zu oft vereinzelten Menschenkinder, so daß sie dann verzagt niederknieten.

Unser Gott ist also ein Gott über Göttern. Gott und Götter, sie durchdringen einander wie die offenbare und die geheime Ordnung. Wer also sind die Götter?

Als ich zur Schule ging, lasen wir nebeneinander hier im Religionsunterricht das griechische Neue Testament, dort in dem selben Griechisch Aeschylos und Homer. Diese sprechen von den Göttern, die Bibel aber von Gott. Obwohl doch die Schrift von Gott in der gleichen Sprache schreibt wie die Klassiker von den Göttern, hat uns damals niemand die Götter und Gott ineinander übersetzt. Indessen lasen wir wohl als einer der ersten Primanerjahrgänge heimlich Hölderlin. Und bei ihm war nun sogar auf deutsch und also ganz ernsthaft von den alten Göttern die Rede, so wie in der Lutherbibel von Gott. Das war; eine unheimliche Spannung. Fünfzig Jahre sind vergangen. Ihr führt Hölderlin öffentlich in der Schule auf. Da genügt das verschweigende Nebeneinander von Göttern und Gott nicht länger. Nun muß von ihrem Widerstreit öffentlich Zeugnis abgelegt werden. Seitdem ich von Euch den „Empedokles” habe spielen hören, schulde ich Euch ernsthafte Rede und Antwort. So wie Friedrich von Bodelschwingh im Kampf um das Leben seiner kranken Christenbrüder mit Hitlers Leibarzt über die Kinderaussetzung der heidnischen Spartaner disputiert und schließlich gesiegt hat, so muß ich den Glauben an Gott und die Beugung unter die Götter offen besprechen.

Ich will redlich zu sagen versuchen, wer die Götter sind. Und ich will keine hohlen Namen für sie stehen lassen. Ihr findet die Götter nicht aus der Mythologie oder aus der Philosophie. Längst habt Ihr alle erfahren, wer die Götter sind. Denn Götter sind dort, wo wir Opfer bringen. Und Opfer bringen sogar der Nihilist, der Polytheist und der Zyniker. Opfer bringen Kommunisten und Gelehrte, Soldaten und Unternehmer, Ehefrauen und Mönche. Und gewiß glaubt nur der an den Einen Gott, der ihm zu opfern bereit ist.

Gott und Götter unterscheiden sich nicht in Sachen der Opfer. Nein, erst darin tut sich der Unterschied zwischen unserem Gott und den Göttern der Vorzeit auf, daß der Lebendige Gott ein einziger ist. Die Götter hingegen „erscheinen nimmer allein”. „Kaum daß ich Bacchus den fröhlichen habe, kommt auch schon Amor, der lustige Knabe, Phöbus der Herrliche stellt sich Sie kommen, sie kommen, die Himmlischen alle . . .” ein.

Das Geheimnis der Götter öffnet sich uns gerade aus ihrer Vielzahl heraus. Wie die Töne einer Oktave, wie die Farben des Spektrums, so werden uns die Götter vertraut. An ihrem farbigen Abglanz werden wir mit dem ganzen Götterleben vertraut, wenn, ja eben wenn wir ihnen als Brechungen des einzigen Gottes getrost das Maß von Geltung einräumen, das Statthaltern und Vizekönigen zukommt. Die Götter sind nie das Licht, aber sie sind seine Brechungen.

Habt also Geduld, wenn ich ihren vollen Stand um unser Leben herum jetzt abgehe. Die Götterknechte, die Götzendiener, wollen von diesem Vollstand aller Götter zusammen nicht gern hören. Sie leugnen, daß erst alle Elohim zusammen zu Jahve führen . Sie lassen sich von jedem Gott gern ganz beherrschen. Den einzelnen Gott aber, der ihn knechtet, sieht der Geknechtete nie selber. Ihm geht es da wie der Prinzessin im Märchen, die alles in der Welt sehen konnte außer ihrem eigenen Haarschopf. - Den Teufel sieht das Völkchen nie, und wenn es ihn beim Kragen hätte - der Vers würde im Märchen noch richtiger lauten: „Den Teufel sieht das Völkchen nie, gerade weil er es beim Kragen hält.” Nur die Seele, die eine andere Seele aufrichtig liebt, kann diesen Nächsten von seinem Götzen befreien. Wenn dem Geknechteten sein Nächster zur Seite tritt, dann kann der ihm seinen Abgott verweisen. Auch wir hier können unbefangen von den Göttern reden, weil wir miteinander weiser sein dürfen, als jeder von uns allein. Die Freude aneinander ist die Kraft, dank derer die Liebe zu dem Einen Gott den Dienst an den vielen Göttern auszubrennen und auszuräuchern vermag. Einander dürfen wir uns vom Götzendienst reinigen. Hingegen kann die vereinzelte Nation oder der vereinzelte Mensch, Deutschland oder Frankreich, Amerika oder Rußland, Denker oder Soziologe, Theologe oder Philosoph, diese Freiheit der Kinder Gottes nie erlangen. Er bleibt Henotheist und Polytheist, ein Vertreter des Jeweiligen, also seiner eigenen Zufallsgötter, Augenblicksgötter, Schicksalsgötter, Gelegenheitsgötter.

Hier nun setzt zum ersten Male Hölderlins Gesang machtvoll ein. Ehrfürchtig ruft er uns zu: Ehret die Götter. Laßt sie eintreten in euch. In Hölderlins Stimme hören die Götter auf, zufällig zu sein. Zwar beschwört er die alten Götter herauf und gebietet uns, sie einzulassen. Aber zugleich zwingt er uns, alle Götter zu ehren, und das können wir nur in einer Gemeinschaft der Gläubigen. Seltsamer Rollentausch geschieht damit. Hölderlin, der Dichter der Vorzeit und der vielen Götter, verbürgt uns das ökumenische Geheimnis der Vollständigkeit, der Katholizität. Zu diesem Geheimnis wende ich mich nun hin.

In Stufen der Lebendigkeit, vom Lichtstrahl und der Geschwindigkeit der Himmelskörper bis zum Unheil der Weltrevolution, treten opferheischende Mächte in unseren Alltag ein und werfen die gespannten Drähte unserer Lebensfahrpläne wie Kinderspielzeug über den Haufen. Da ist das Motorrad. Es wäre ein leichtes, den schauderhaften Lärm, den es verbreitet, abzustellen. Aber die Fabrikanten bringen dieses Werkstück nicht an, weil sie dann weniger Räder zu verkaufen fürchten. Der Lärm ist ein Teil des Reizes des Motors. Erst er begabt den Besitzer der Maschine ausdrücklich mit jener Macht, die über gewöhnliche Menschenkraft hinausgeht. Gerade an dem Lärm erkennen sich die neuen Zentauren als HalbGötter.

Vierzigtausend Menschen sterben jährlich in den USA den Automobiltod; fast eine halbe Million Menschen werden auf den Landstraßen verletzt. Trotzdem verlangt das Publikum weder Blinklichter im Rückteil des Wagens für plötzliche Aufenthalte - dabei führen alle Polizeiwagen solche Blinker -, noch fordert es federnde Stoßstangen oder einen Schutz für den Fahrer gegen Zerquetschung am Steuerrad. Keiner dieser Forderungen könnten die Fabrikanten widerstehen. Aber der Gott der Geschwindigkeit regiert, und so schmeicheln wir dem Gott dadurch, daß wir die Opfer, die ihm fallen, nicht vermindern. Maschinen werden angepriesen, weil sie drei- oder viermal mehr Kräfte verheißen, als je ein Fahrer auf der Autobahn entfesseln könnte . Diese zweihundert oder dreihundert Pferdekräfte leben also nur in der Einbildungskraft des Besitzers. Aber eben dort beherrschen sie seine Leidenschaft und seinen Geldbeutel.

Der Gott der toten Massen und der Schleuderkraft, der Energie, feiert seine Triumphe in diesen Toten und Verstümmelten und in den für nie genutzte Kraft gern geopferten Milliarden. Die physikalischen Elemente der Welt werden in den Mitteln der Beschleunigung am deutlichsten vergöttert. Indessen könnte auch die Überlichtung unsrer Nächte mit allen Arten von Lichtwerfern als ein deutlicher Kultus angeführt werden. Da wird das Nachtdunkel ausgerottet wie die Schwerkraft beim Fahren, und mit Recht heißen viele dieser Lampen, die uns einreden sollen, es gäbe keine Nächte , Schein-Werfer. Diesen Schein vergöttern wir in der ersten Sphäre unserer Göttlichen Welt.

Götterreicher ist die nächste Sphäre, denn hier herrschen nicht die Außen-Mächte, die den Widerstand der toten Welt besiegen. Sondern die organischen Mächte des ein- und ausatmenden Lebens durchschüttern unser Innerstes. Unsre Gesundheit ist hier zu Hause im Rhythmus des Lebendigen. In Schlafen und Wachen, Essen und Verdauen, in jeder Art Stoffwechsel, und im Wachsen und Schwinden sind die Geheimnisse jedes Organismus wahrzunehmen und darzuleben. Die Medizin fordert ihren Zoll in dieser Sphäre. Die wohlabgestuften Priesterkasten der Chirurgen, der Internisten, der Quacksalber, der Gesundbeter, der Analytiker, der Diätpropheten, der Atemgymnastiker umwandeln den Tempel unseres Leibes hier. Sie alle ermöglichen der vegetativen Seele, Opfer zu bringen. Die Rhythmen sind so verschlungen und so geheimnisvoll, daß ihre Gläubigen immer tiefer in sie eingewiegt zu werden trachten. Zum Beispiel haben die Inder hinter die uns allen vertrauten Rhythmen des Schlafens und Wachens, des Einatmens und Ausatmens, ihr Yoga gebaut. Daraus wird von ihnen der Tiefschlaf kultiviert, wo angeblich die Seele den Leib verlasse. Natürlich machen wir solche absurden Entdeckungen, wo wir unser Heil suchen, und den Indern hats eben diese zweite Sphäre angetan. Wir im Westen haben diese indische Götterwelt erst neuerdings ernster nehmen müssen, seit die Gesundheitsapostel uns überrennen. Vorher haben uns mehr die Götter der auf die Rhythmusmächte folgenden Sphäre heimgesucht. Europa ist ja selber die Geliebte des Zeus. Und so sind die im Palast des Zeus auf dem Olympus versammelten Götter Europas Erbteil. Die Olympier stellen das Bewußtsein zu höchst.

In der Geburt einer Göttin aus dem Haupt des Vaters, der auch der Vater aller Menschen ist, wird auch das bewußte Leben gefeiert. Nicht auf Schnelligkeit oder auf Rhythmus liegt der Hauptton; kultiviert werden Willen und Bewußtsein, Verstand und Gedanke. Wir wissen schon aus dem indischen Beispiel, daß die Götterknechte die Sphäre ihres Hauptgebets gern verdoppeln. Das ist in der Tat auch bei den Griechen so zugegangen. Wie die Hindus Schlaf und Tiefschlaf, so unterscheiden die Griechen Spiele und Ernst unseres Denkens. Dionysos und Zeus, Vedioris und Jovis lateinisch, bilden die zwei Welten des Spielrausches der Jugend und der Arbeitswut der Alten.

Beide Halbsphären dieser bewußten Männersphäre verschlingen Hekatomben unter uns. Wer hat nicht Kreislaufstörungen? Wessen Frau rühmt nicht ihres Mannes Fleiß? Der Grieche und die Humanisten unter uns stürzen vor ihrem eigenen Geiste in die Knie. Plan und Vorsatz, Absicht und Programm, Soll und Zweck können sich fast jeden unier uns hörig machen, da niemand in Zweifel zieht, daß sein eigener Zweck ihn beherrschen dürfe. In dieser Sphäre der Theologen, Philosophen, Nationalisten und Rationalisten, der Ludendorfe und der Hjalmar Schacht werden Zweck und Ziel verwechselt. Die von mir selber erfundene und hochgehaltene Parole und das über mich ergehende Wort meiner wahren Bestimmung werden für ein und denselben Höhengrad ausgegeben.

Wenige wissen um den Widerspruch zwischen Zweck und Ziel, um den Abgrund zwischen meinen Absichten und meiner Bestimmung, zwischen Wissenschaft und Wahrheit. Die Zeuswisser werden daher zu Feinden der höchsten Wahrheit. Denn die bloße Wissenschaft leugnet die einzigartigen Wahrheiten. Damit leugnet sie Gott; und damit leugnet sie die wahre Liebe. Denn der Humanist vergleicht alles mit allem. Aber Gott ist unvergleichlich, eine Liebe ist unersetzlich, und jede Seele ist einzig. Dem Bewußtsein ist dies im Käfig der dritten Sphäre undenkbar, weil es sich aus dem „Gleichmachwerkzeuge”, dem Gehirne, bildet.

Indessen sogar der strenge “Wissenschaftler oder der reine Willensmensch ragt über die dritte Sphäre in einer Regung hinaus. Sogar widerwillig muß der Verstandesmensch doch Venus huldigen. Venus aber verkörpert eine neue Sphäre . In ihr bricht auch der Denker in die Knie, wie Aristoteles vor der Hetäre Lais.

Den unbewachten Individualisten überwältigt doch noch seine Liebesbedürftigkeit. Vor dem Wunder, daß ihn ein Mädchen erhört, stürzt er fassungslos in die Knie. Die Sphäre, die sich über den Zeus-Kreis erhebt, ist bei manchen Völkern die zentrale Göttersphäre geworden. Selbst bei den Griechen wird Aphrodite nur mit Mühe unter Zeus gebeugt. Als die Liebesgöttin von Ephesus spottet sie der vernünftigen Jupiterreligion und brüstet sie sich ihrer tausend Brüste. Kybele, Astarte, Demeter und Isis verdoppeln die Sphäre der Geschlechtsgötter als Mutter und Tochter. Die Opfer an das Geschlecht auch unter uns sind nicht zu zählen. Vierhundert Jahre lang haben Syphilis und Gonorrhoe ihr Szepter geschwungen. Von Lustseuchen sind Herrscherhäuser und Stämme ausgerottet worden. Dem Genius hat die Gottheit Venus ihren Tribut abgefordert, Friedrich dem Großen genau so wie Ferdinand Lassalle. Zu den Göttern der Liebessphäre zählen die Genien der Freundschaft und der Künste. Denn die Künstler weben und sticken der Liebe das Hochzeitskleid. Welch Götzendienst wird mit der Kunst getrieben, da wo Kunst um der Kunst willen angebetet wird? Welche Perversionen muß sich der Freundeskult gefallen lassen? Je tiefer wir in jede dieser Sphären hineingeraten, desto mehr wimmelt es da von großartigen Mächten. Denn in jede Sphäre läßt sich alles hineingeheimnissen, wenn ein Volk ihr erst einmal verfällt. Deshalb gibt es keine Geschichte der Religion. Gottes Götter währen ja. Es gibt vielmehr ein Kaleidoskop der Möglichkeiten, in ihrer jede kann sich eine Gruppe verlieren, sobald Du oder Deine Nation sich mit einer Brechung der Allmacht zufriedengibt. Dann kann sie innerhalb dieser besonderen Brechung alle Elemente, wenn auch verzerrt, wiederfinden. Tiefschlaf, Kybele, Dionysos, sind Beispiele solcher Übertreibungen. Jedes Zeitalter ist in Versuchung, eine Sphäre der Götterherrschaft zu bevorzugen. Wahrlich, wir ermüden angesichts der endlosen Buntheit dieser Götterwelt, ob sie nun um Schwerkraft, um Rhythmus oder um das Bewußtsein oder um die Brunst herum organisiert wird. Jedesmal finden wir die Gläubigen besessen von ihren Göttern, und blind und taub gegen ihre eigene Vollmacht, als freie Ebenbilder des Einen Gottes über diese Götter hinauszuwachsen.

Darum wollen wir uns nun erholen, indem wir über diese Weltengötter hinaufblicken an die Stelle im Scheitelpunkt, zu der hin alle diese Sphären zusammentreten. Diese Stelle nahm bei den Griechen der Gott des Unheils Kronos = Saturn ein. Denn alle Zyklen der anderen kreisenden Sphären durchbrach der gewaltige Unheilbringer

„Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude mit Gedankenscnritt,
Geheimnisvoll nach Geisterweise
Ein ungeheures Schicksal tritt…”

So wird am Saturnstag - englisch noch immer Saturday genannt, aber bei uns als Sonnabend maskiert - der entscheidende Ahn und zugleich Feind der Olympier, der Gott des Unvorhersehbaren, verehrt.

Die Griechen sehen also auf zu der Sphäre des Jahve, nehmen in ihr aber nur den Unheilsbringer Saturn wahr. Saturn und Jahve sind ein und derselbe. Wer das erkennt, dem ist die Enthüllung, die Offenbarung widerfahren. Der Sabbath Jahves hebt die Sphären der griechischen Götter aus den Angeln, denn Schwerkraft, Gesundheit, Zwecke, Liebe, sogar Unheil wie Pest und Krieg befallen uns zyklisch. Diese Götter kehren wieder. Der Gott, den Israel über die Olympier und die Götter der Veden und die Stammesorgien emporstemmt, er, der Israel aufrichtet und der in Jesus über alle Menschen am Kreuz erhöht wird, dieser Gott tut alles, was er tut, nur einmal. Der wahre Gott schafft nämlich ein für alle Mal, Er kreist nicht in ewig gleicher Wiederkehr. Er verlangt nicht das blutige Opfer seines Sohnes ein zweites Mal. Sein Name Jahve heißt: Ich werde morgen anderswo mich euch zeigen als gestern (sein Name „Ich werde hier sein” muß mit dieser Ergänzung verstanden werden: „und nicht da, wo ich früher hintrat!”). Jahve, der Vater Jesu, spottet der griechischen Systeme, der vedischen Rhythmen, der ägyptischen Sternrechnung, der syrischen Wollustkulte; anders wird er eintreten, als wir ihn vorausberechnen möchten. Weder durch Rekordeile, noch durch perfektes Atmen, noch durch den besten aller Willen, noch durch die Potenz der Genitalien läßt er sich überfallen. Wo der wahre Gott hinfährt, das sollen wir wittern. Denn Gott geht ein in den nächsten Schaffensakt seiner ganzen Welt. Dort, wo Du in der Welt leidest, da gibt Gott Dir einen neuen Nächsten. Die Schöpfungsgeschichte besteht aus der Erschaffung eines barmherzigen Samariters nach dem anderen. Nichts von dem, was bereits geschaffen ist, verrät bereits Gottes endgültiges Geheimnis. Vielmehr wird der Sinn aller bisherigen Schaffensakte gerade erst aus dem morgigen weiteren Vollzug der Schöpfung offenbar.

„Weil er dich liebt, ist Gottes Buch
Der Schöpfung umzuschreiben,
Und der bisherige Versuch
Darf nicht sein Schlußwort bleiben.”

Wen aber Gott heute beruft, ergreift, führt, der versteht Gottes ältere Lieben aus dieser Erfahrung heraus. Wen Gott heut erschafft, der begreift leicht, daß Gott alles frühere ebenso erschaffen hat. Wem Gott den Sabbat als Unterpfand seiner Freisprechung von der Astrologie, von der Brunst, von dem Willen usw. schenkte, der wußte nun, daß Gott die Sonne und die Erde und die Pflanzen und die Tiere auch eines Tages geschaffen hatte.

Es ist also unsere, Deine und meine eigenste Erfahrung, die des: „Heute habe ich Dich gezeugt”, die das Buch Genesis nach rückwärts verlegt. Das Große, das er an uns tun wird, übertragen wir in die Vergangenheit und in die Anfänge der Geschichte auf das, was er schon damals Großes getan hat. Es ist ja ebenso groß wie das, was er uns tut und tun wird - und er ist uns am nächsten, wenn er etwas, was uns Unheil schien und was wir mit einem Unnamen des Abscheus belegt hatten, in einen heiligen Namen und ein Wort unseres Heils umwandelt. Denn die Kraft, die uns sprechen macht, ist unsere gottnächste Kraft. Wird also diese Kraft umgeschaffen oder, mit anderen Worten, verwandelt sich uns ein Unheilsname in ein Wort des Heils, dann treibt der Baum unseres ewigen Lebens ein neues Blatt. Weil noch über dem atmenden Leben, dem bewußten Individuum, der liebenden Gemeinde, der Geist, der uns sprechen heißt , waltet, deshalb ist die wirkende Götterordnung karikiert, solange sie aus den fünf Sphären - als Planetensphären deuteten die Alten sie sich - Materie, Organismus, Bewußtsein, Liebe - Mars, Merkur, Zeus, Venus - hin zum Saturn aufgebaut wird. Nein, aus Gottes Geist führt in das ewig Todessüchtige, ewig sterbende All ein neues Wort und überströmt von oben her nach unten die schöngeschaffene Welt, damit sie weiter zu atmen vermag. Alle Worte einer Sprache sind ein Wort; alle Sprachen aller Völker sind sogar nur ein Wort. Denn wo wir Atemzüge des Leibes zählen und Pulsschläge des Herzbluts, da ist Gottes Atem nur erzählbar als Name um Name jedes seiner Geschöpfe. Gott schafft unaufhörlich, weil alle bisher berufene Schöpfung sich auf seinen nächsten Atemzug verläßt, um selber weiterzuleben. Um des bisherigen Lebens willen tritt jedes nächste Geschöpf namentlich in die Welt. Die Schöpfung braucht täglich einen neuen Nächsten, der ihr aufhilft. Daher ist das Älteste und das tragende und das innerste Wort jeder Sprache ihr Name für diesen unaufhörlichen Atmer, den Pfingstgeist. Kein Wort im Wörterbuch und kein Name in den Annalen hat irgendwelchen Sinn, es sei den als ein Zweig oder Blatt am Baum unseres hiesigen Lebens. Dieser Baum ist Gott selber.

Kein vernünftiger Mensch hat das je bezweifelt. Denn wer spricht, erwartet ja daß jemand ihm zuhört und glaubt. Und wer hört, der hofft, daß ihm jemand etwas Wahres oder Richtiges mitteilt. Also glaubt jeder Sprecher und hofft jeder Hörer. Und die Vernunft besteht aus Sprechen und Hören in liebendem Gleichgewicht. Darum ist kein vernünftiger Mensch seinem Schöpfer je ganz entfremdet. Der Name Gottes hat ihm aus allen Masken eingeleuchtet. Sonst hätte er ja nie ein Wort sprechen oder vernehmen können.

Christus ist der in die Menschen eintretende Gott. Jesus bringt die frohe Kunde zurück, daß Sprechen und Hören bereits an den wahren Gott glauben, auf ihn hoffen und um seinetwillen den Hörer oder Sprecher, den Nächsten lieben heiße. In Jesus wird der Eintritt Gottes öffentlich bekannt gegeben. Denn sein Name wird aus Unheil Heil. Ein Unheil? Nun ein Ärgernis den Juden und eine Torheit den Griechen! Aber allen denen Heil? die über Ärgernis und Torheit emporwachsen. Damit erschließt er den wahren Gott auch den Saturnsdienern, den Heiden. Sie lernen in Jesu Kreuzigung und Auferstehung, daß ihr Saturn und Israels Jahve ein und derselbe Eine Gott ist, der über alle ihre Götter erhaben regiert. Denn Jesus übersetzt das Unheil, das ihm Selber widerfährt, in das Heil der Welt.

Auf dieser Erschließung der fünften Sphäre des Saturns durch Christus ruht Hölderlins Recht zum Empedokles. Hölderlin ist kein Heide. Hölderlin hat nicht aus der Froschperspektive der Physiker, Mediziner oder Philosophen oder Kybeleknechte Gott von unten her anvisiert. Nein, Hölderlin war beim Vater seines geliebten Jesus zu Hause; was ihn zum Empedokles trieb, war der Abfall der Gottessöhne von Jesu göttlicher Fülle. Ich will die rechte Sphärenharmonie Jesu und Hölderlins hier ganz kurz vor Euch aufklingen lassen. Damit wird Hölderlins Wiederbeschwörung der Götter ihren Platz unter Christus sich erobern.

Vor Jesus, das heißt, solange die Völker jeder Sphäre einzeln verfielen, hier der Fallkraft der Materie, dort der Vegetation des Lebendigen, dort der Brunst des Geschlechts, blieben die vielen Götter einander undurchdringlich. Von unten nach oben gesehen, teilen die Götter sich einander nicht mit. Im Gegenteil: Bevor Gott die Götter offenbart, in seiner Menschwerdung, ist jede Sphäre eifersüchtig. Die unteren Sphären leugnen dann die oberen und bekämpfen sie. Die Sphären öffnen sich einander, sobald vom Kreuz her, im Lichte des Unheils, das Heil wird, und im Augenblick des Opfertodes, die Sphären der Liebe, des Bewußtseins, der Lebensrhythmen und der fallenden Materie sich unter die Sphäre des Todes einordnen, als Stationen seiner Fruchtfolge. Theologen nennen das die Inkarnation.

Ein Blick auf den Gekreuzigten öffnet uns die Augen für seine zwingende Gewalt über uns alle, soweit wir seine Liebe erwidern. Die erste Wirkung oder Station nach Ostern ist ein Pfingsten für die Apostel. Die Liebes-Kommunion gibt ihnen ein Herz und eine Seele. Die Communio Sanctorum derer, die einander lieben, weil ihr Herr sie liebt, erobert die Kybelesphäre , und das Reich der Venus, des Eros, der Magna Mater, der Freya. An die Stelle der Orgien dieser weiblichen Göttinnen tritt die Abendmahlsgemeinschaft der Männer und Frauen. Auf die Apostel folgen die Evangelisten. Das Neue Testament ersetzt die griechische Philosophie. Die Schrift erobert die Zeussphäre und die Apollosphäre und die Dionysossphäre . Die Tragödie und das System beugen sich beide der Heiligen Schrift. Die Bibel ist nicht ein bewußtloses Gestammel. Durchaus nicht, aber sie ist auch keine Philosophie und keine Verherrlichung des Selbstbewußtseins, Auf die Schrift ist in der Kirche die Entfaltung der Liturgie gefolgt. “Was ist die Liturgie? Die Liturgie ist geheiligter Rhythmus. Der Rhythmus des Kirchenjahrs erobert die Sphäre der Jahreszeiten und der Tageszeiten. Das Meßbuch hat Frühling, Sommer, Herbst und Winter dem Walten Gottes unterworfen, das Brevier hat die Tag- und Nachtzelten, die Hören, erlöst. Denn Ostern, Pfingsten und Weihnachten sind Sprengstoffe, die uns Vollmacht geben, die sprachlosen Rhythmen der Natur zu sprengen.

In der vollen Rhythmik der Liturgie wird das aus dem Wort neu geschaffene Menschengeschlecht Herr über seine bloß leibliche Natur und über die nur astronomischen Jahreszeiten. Wer Ostern begeht, der lernt die physiologischen und psychologischen und soziologischen Fahrpläne durchbrechen. Er wird ermächtigt, neue Rhythmen des Gemeinschaftslebens einzusetzen. Christus läßt mehrere Rhythmen, mehrere Kalender nebeneinander zu.

Ist hier schon von oben her die vegetative Sphäre erlöst, so geht die Fleischwerdung noch eine Sphäre tiefer in die Materie ein. Auch das Tote wird erobert. Den Steinbrüchen, die sich unterhalb der lebenden Ackerkrume hinziehen, entsteigen leuchtende Kathedralen. Also bis in den starren Stein hinunter senkt sich das Heil, und je widerstandskräftiger der tote Stein, desto großartiger wird die Wirkung seiner Durchdringung mit dem Heiligen Geist. Darum ist es keine Lästerung, wenn wir die so von oben durchdrungene Materie als Gotteshaus bezeichnen.

Welch eine Niederfahrt vom Kreuz in die Liebesgemeinschaft, in die Schrift, in das Kirchenjahr, in den Kirchenbau? Alle Sphären scheinen nun verknüpft, alle scheinen vergöttlicht, denn alle waren nur Stationen in Gottes Leibwerdung hinein in uns als Gemeinde in der Kommunion, als Einzelne in der Schrift, als lebende Pflanzung in der Liturgie, als bleibendes Erdreich im Kirchenbau. Hölderlin aber setzt gegen diese Erlösung Gottes sein furchtbares Wort im Empedokles: „Der Menschen Sprache verstand ich nie.” Schreckliches Wort. Schrecklicher Zustand, den der Vers beschreibt. Gemeint ist, daß der Inkarnationsweg von Opfertod hinterher bis in den Kirchenbau nicht mehr geglaubt werde. Den Dichter also berührt um 1800 auch das Gotteswort nur noch wie Menschenwort. Die Besucher unserer Steinkirchen lassen eben Gottes Wort zu einer Sprache bloßer Menschen verkommen und der gotterfüllte Dichter seufzt, er verstehe diese Sprache der Menschen nie!

In dieser Not hat Hölderlin die gesamte zu Jesu hinführende Vorwelt neu belauscht. Die zu dem Gott des Heils drängenden Götterwege hat er treu besucht. Damit übt er das Amt des Dichters im Zeitalter Christi aus. Nämlich seit Gott Fleisch geworden ist, bringen uns die Dichter die Ursprünge unserer Welt wieder empor: „Die Dichter müssen, auch die geistlichen, weltlich sein”, weil die Welt als Hinweis auf Christus ihre Provinz ist. So sehr hat Hölderlin den Vater und den Sohn geliebt, daß er Jesus als den Bruder der Götter und als Sohn Gottes aus den Gesängen und Gebeten aller Frommen der Vorzeit geboren werden läßt.

Dieses Hölderlins bedürfen wir, seit die Christenheit vergessen hat, daß unser Gott der Gott über den Göttern ist. Göttervergessen erbebt sie nicht mehr vor ihnen. Wer aber vor den Göttern nicht mehr erbebt, der leugnet die Teufel. Die Teufel sind ja die Götter, die den Gott über ihnen von ihren Knechten abschwören lassen. Seit 150 Jahren werden die Teufel, die vielen Götter, für bloßen Aberglauben ausgegeben. Die klugen Kopfe haben die Einheit Gottes für einen gefahrlosen Verstandesbegriff erklärt. Sie wollten ohne die Leidenschaften der göttlichen Sphären aus bloßer Vernunft leben. Aber nur der wahre Gott überwindet die Götter. Nur die edelste Leidenschaft besiegt die niederen Leidenschaften. Die sogenannten Frommen sprachen so leichthin von dem großen Gott, daß sie in ihm oft keck nur ihren Mars, ihre Venus, ihren Zeus und ihren Orpheus oder Hephaistos meinten. Gott Bacchus darf nicht dadurch verleugnet werden, daß wir uns im Namen der heiligen Dreifaltigkeit zu betrinken vorgeben. Gott läßt seiner nicht spotten. Er wird aber zum Gespött, wenn jede Leidenschaft gleich aus seiner Majestät hergeleitet wird. Die nationalen Siege zum Beispiel sollte Gott als National-Gott segnen. Das läßt er sich nicht gefallen. Gott zürnt uns nicht, wenn uns einer seiner Elohim zeitweilig den Aufblick auf ihn selber verstellt. Er hätte uns ihnen ja nicht unterstellt, wenn sie ihn nicht zeitweilig verträten. Zeitweilige Stellvertreter Gottes sind die Götter. Während sie in uns eintreten und uns begeistern, soll von Gott selber nicht die Rede sein, bei Strafe der Gotteslästerung. An dieser Gotteslästerung ist unser Gottesdienst entartet und ist Hölderlin erwacht. Seit 1800 verstehen die Menschen weniger und weniger den Sinn der Stellvertretung Jesu. Die Götter nämlich vertreten Gott zeitweilig; Jesus aber vertritt ihn immer. Denn sie vertreten ein Element der Gottesmacht; er aber vertritt den vollständigsten, den Leidensstand Gottes, kraft dessen die Schöpfung weiter geschieht. Gott tritt ja in den Augenblick, zu dem aus bisherigem Unheil Heil wird, vollständig ein. Die andern Götter stellvertreten Bezirke Gottes, in denen er schon geschaffen hat - Jesus Christus vertritt Gott selber, da wo er gegenwärtig hervortritt mit seinem: Stirb und Werde.

Dieser Ordnung der Götter lieh Hölderlin seine Stimme. Das Amt des Dichters bringt die schon geschehene Schöpfung noch einmal in unseren erkalteten Herzen zum Klingen. Einer abgestorbenen Menschheit erschien die inkarnierte Gestalt des Gotteslebens nur noch als Menschenwerk. Kunstgeschichte und Bibelkritik und Formenanalyse begruben die Kathedralen und die Schrift und die Liturgie. Die Psychologie vergriff sich an Paulus, und die völkischen Teufel priesen Hitler, den Selbstmörder, als den Führer, der sich für sein Volk aufopfere, und in demselben Atem wagten sie, von Jesus zu sagen, er habe Selbstmord begangen. Damit schien der Heilsweg vom Opfertod hinunter in die tote Materie rückgängig gemacht. Wie es schon die Isispriester zu Augustins Zeiten versucht, haben diese Teufelsknechte Jesus in den bloßen Zyklus eines vorübergehenden Aeons eingekreist; was sage ich: die Götzendiener wähnten, sie hätten das Christentum in einen vorübergegangenen, vergangenen Aeon eingesargt, Hitlers Trabanten ebensosehr wie Augustins heidnische Zeitgenossen.

Dieser abtrünnigen Menschheit hat Hölderlin die Quellen der Gottwerdung sprudeln lassen. Mehr kann und darf der weltlidie Sänger nie, als uns lehren, wer die Götter sind. Sobald wir aber von ihm lernen, werden wir unsererseits für ihn verantwortlich. Er rettet unsere Seele. Er hat diesen Tod mit vierzig Jahren im Hölderlin-Turm in Tübingen gebüßt. Wir müssen daher mehr tun, als seine Verse hören. Ihn selber, den um unseretwillen Umnachteten, müssen wir in unsere christliche Zeitrechnung hinein erlösen. Das Opfer unseres Starrsinns, unsrer Kälte, unsres Göttermordes, müssen wir über uns selber stellen. Denn indem wir sein für uns gebrachtes Opfer in die Reihe der Opfer einreihen, dank derer unsere Augen und Herzen gottesfähig werden, fügen wir zu Hölderlins Götterglauben den Glauben an Gott selber hinzu, nämlich an Gott als Den, der uns den Dichter berief in dürftiger Zeit. Hölderlins „Fürst des Festes” in seiner neu gefundenen Friedensode wird jetzt viel debattiert; desto inniger werde der Beitrag jedes einzelnen, der auf Hölderlin hört. Von der zweiten Hälfte seines eigenen Glaubens mußte der Dichter schweigen. Wie hätte er denn für uns die Götter neu wachrufen können, wenn er sich nicht beherzt in ihre Vorzeit hinein abgeseilt hätte? Aber wir müssen ihn absichern; uns muß sein Abstieg in die Götterwelt in Gottes Namen geschehen sein. Das kann nur jeder Leser für sich selber entscheiden, indem er ebenso kühn an den Eintritt Gottes in sein Herz glaubt, wie Hölderlin.

So kommt es auf jeden Einzelnen von uns an bei der Entscheidung, wer der „Fürst des Festes” sein soll.

Können wir die Liebe, die Hölderlin trieb, in uns selber so entfachen, daß wir in dem Göttersänger den Gottesmann erkennen? Jedem von uns wird ein verschiedener Lebensweg. Aber die Wege verknüpfen sich wegen unserer Dankbarkeit. Wir verdanken Hölderlin eine Klärung unserer Bestimmung. Entscheide jeder für sich, wie umfassend sein Dank abgestattet werden soll. Bestimmt das Maß Eures Dankes an Hölderlin, dem Gott den Mut zum eigenen Unheil gab, damit wir geheilt würden. Wieviel Unheil wollt Ihr auf Euch nehmen, damit aus Unheil Heil, aus Tod Leben werde? Der Logos, die Nennkraft, ergreife auf dem Friedhof und in dem Schutthaufen, der die Welt heißt, unser Herz, damit wir tot tot und lebendig lebendig nennen. Wer Hölderlin hört, muß nennen, das heißt, er muß sich erklären über die Grade der Lebendigkeit. Ist nämlich Hölderlin lebendig, dann sind die Zeussysteme der Willensmenschen, der Theologen, Philosophen, Arbeitsbienen und Idealisten tot. Jeder, der sich für Hölderlin entscheidet, spricht mit Todesernst und Lebensgefahr. Er macht sich Feinde. Damit gewinnt in ihm das Wort seine Gotteskraft wieder. In der Nennkraft, die sich über Deine Lippen mit Todesernst und Lebensgefahr drängt, verwandeln sich die unerbittlichen Götter in den Gott, der in die Welt freiwillig eintritt, in den Gott, dem in seiner Schwäche widerstanden werden kann, aber eben damit auch in den Gott, den unsere von ihm geöffneten Lippen offenbaren dürfen. Denn auf solchen Lippen findet das Wort den Träger, auf den es hinstrebt: Es darf Fleisch werden. Die Nationalisten nationalisieren Hölderlin, als sei er gottlos. Vom „Dichter” und seinem „Publikum” - so sprach eine lebenshungrige Welt über Kunst und Kunstgenuß. Wir reden, gedemütigt durch eine vierzigjährige Todeswüste, vom Sänger und dem Volk, in das er hineinsingt. Wie kommen Hölderlin und wir in Ordnung? Wenn Hölderlin zum Sänger der Vorzeit und wir zum Volke der Gotteszeit werden. Wann immer Gott um Hölderlins Götter willen in uns eintritt, wird Hölderlin erlöst. Und dann wissen wir, wer die Götter sind.

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