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Rosenstock-Huessy: Pfingsten und Mission (1954)

I. Pfingsten und Mission 1

Als Adolf Harnack starb, erbat er sich für seinen Grabstein die Worte der alten Hymne Veni Creator Spiritus. Zu Pfingsten singt der Gläubige: „Der Geist des Herren hat erfüllt alle Lande der Erde.” Aber Protestanten, Katholiken und Orthodoxe bleiben getrennt, und die Israeliten wissen nichts über das Kommen des Messias. Der Geist des Herren scheint diese also nicht zu einen. Wie können wir dann begreifen, daß der Geist einstmals wirkte und heute versagt?

Zu Pfingsten dürfen wir jubeln, weil der Name über alle Namen von unzähligen Stämmen und Völkern angebetet wird und weil sein Evangelium in viele Sprachen übersetzt worden ist. Aber zu Pfingsten müssen wir auch ehrlich zugeben, daß wir wohl ungenügend erleuchtet sind und nicht solchen vollendeten Glauben besitzen, daß wir unsere Triumphgesänge allein für uns singen könnten. Uns müssen andere helfen. Zu Pfingsten bedarf unser eigener Glaube der Stärkung. Wie können wir heute in dieser westlichen Erdhälfte unter furchtsamen Geistern in unserem Kleinmut die wachsende Einmütigkeit des Geistes erfahren, eine Einmütigkeit, die sich nochmals in immer weiteren Kreisen kundtue?

Ohne die Erfahrung weiterer Pfingsten schafft die Erinnerung an das erste Pfingsten nichts als Verzweiflung. Das ganze Leben ist so aus Wundern aufgebaut, daß ein nächstes Wunder immer nötig ist, um die ganze Kette der Wunder bis zu unseren Tagen noch lebendig und wirksam zu erhalten. Gerade so wie eine Seele nie durch eine frühere Tugend gerettet wird, sondern bis zu Ende lebendig bleiben muß oder verlorengeht, so wird die alljährliche Pfingstfeier ein bedeutungsloses Ritual, wenn das Pfingstwunder nicht in unserer Mitte neu gestaltet wird.

Tatsächlich ist die Welt nicht bar solcher Wunder. Ich möchte wohl von einer neuen und wundersamen Einheit sprechen, die sich zu Pfingsten offenbart. Ihrer gewahr zu werden, bedeutet freilich, einer epochalen Wandlung in der Deutung von Pfingsten gewahr zu werden. Vielleicht erkennen wir, daß Pfingsten nicht einfach ein besonderes Fest ist, sondern daß das Pfingstelement in jedem Gottesdienst gegenwärtig ist, wo die Gläubigen in Seinem Namen versammelt sind. So sind Ostern, Weihnachten und Pfingsten nicht bloß Tage des christlichen Kalenders, sondern Urquellen der Anbetung der Dreieinigkeit in der Versammlung der Gläubigen. In unserer Untersuchung der Gründe wollen wir die Beziehung zwischen Liturgie und Mission darlegen.

II. Messe und Mission

Die Bestandteile des Gottesdienstes und die Wandlungen in unserer Seele lassen sich am besten verstehen, wenn wir von dem Stamm des lateinischen Wortes mittere (senden) ausgehen, wie er sich in dem Wort Mission vorfindet. (Anm. d. Übs.: Da im Deutschen diese lateinische Wurzel nicht mehr anklingt, werden die entsprechenden Ausdrücke des amerikanischen Originals jeweils in Klammern beigefügt.)

Die Kirche ist durch die „Mission” gewachsen und durch die „Eingebung” (Immission) des Geistes lebendig erhalten worden. Sie bewahrt sich durch „Aus-” (omitting) und „Weglassung (pretermitting) vor allen Verderbtheiten. Sie besteht aus denen, die ihre Unzulänglichkeit im Vergleich mit unserem Herren „zugeben” (admit).

Der Geist ist mannigfaltig, das Denken ist nur eine Einbahnstraße. Der Ausdruck „mittere” streitet gegen die Verwechslung des bloßen Denkens, d. h. des durch unser kleines Selbst versklavten und ausgezehrten Geistes, mit der „Botschaft” (message), der missionarischen Gewalt des Geistes über uns. Unser Denken freilich wurde nicht „gesendet”, ist nicht „auf dem Wege” der Wahrheit oder des Lebens. Es lebt in Urteil und Beweis, in Rationalisierung und Apologetik. Aber der Geist reicht fern und weit, versammelt und vereint verstreute Gruppen.

Das Abendmahl wird vor allem recht verstanden, wenn jeder zugibt (admit), daß er durch seine Arbeit und seine weltlichen Verpflichtungen abgetrennt war von der inneren Gemeinschaft mit der Gesamtgemeinde. Heute wird die Bedeutung des „Zugebens” (admission) verdunkelt durch die geschwächte Bedeutung des Sündenbegriffes. Die Sünde, von der uns jede gottesdienstliche Verehrung lösen soll, ist im Lichte Pfingstens nicht Mangel an moralischer Vollkommenheit oder Unvollkommenheit. Sie ist eher geistige Stumpfheit, die nun einmal bei tadellosen, rechtlichen und verantwortlichen Leuten vorwiegt. Es ist ohne Interesse für das himmlische Königreich, ob ein Dieb oder Saufbold zugibt, daß er ein Dieb oder Saufbold ist; das, ist von mehr Interesse für die Polizei. Weit mehr als dies ist notwendig, den Leib Christi zu versammeln. Der wirklich verantwortliche Arzt muß zuzugeben lernen, daß die ärztliche Kunst, gerade als ein verantwortliches Tun, überfordert werden kann. Er muß zugeben, daß er mehr sein muß als ein Arzt, daß er tatsächlich so wenig wie möglich operieren sollte. Sieger auf jedem Gebiet menschlichen Bemühens müssen darum beten, mehr als nur Sieger zu sein. So sind gerade die Leistungen verantwortlicher Menschen Sünden, die als solche zugegeben werden müssen, bevor wir jemals eines Geistes werden können.

Solange alle Verantwortlichen darauf bestehen, allein ihrem eigenen Denken zu folgen, fehlt das erste Wunder, ohne das wirklicher Gottesdienst nicht vorankommen kann. Wir müssen unsere stolzeste Gabe, unsere Denkweise, unseren besten Willen gerade aufgeben (dismiss). Ohne diese wundersame Aufgabe (dis-nnissal) unseres Eigenwillens ist keine Messe möglich. Nochmals: dies wird ganz allgemein heute nicht gesehen, weil „Sünde” für die meisten die Schwäche des Willens, ein Laster ist. Aber die einzige Sünde, die Gottes Gegenwart von der Kirche fernhält, ist unser eigener vollkommenster, berufenster, persönlichster Wille, eine Tugend also. Gib deinen stärksten Willen auf (dismiss), oder die Botschaft bleibt ungehört!

Das zweite Geschehen, die „Eingebung” (inmission) des Geistes an „zwei oder drei” wird von vielen falsch gesehen, weil sie nur das geheiligte Steingebäude vor Augen haben, in das zahllose Kirchgänger strömen. Aber die „zwei oder drei” haben ebenso viel, wenn nicht mehr, Schwierigkeit, eines Geistes zu werden, wie eine Menge. Die Grundbedingung des Wunders, durch die Gabe des Geistes eines neuen Sinnes zu werden, scheint noch unverstanden. So ist auch das neue Denken, das ich empfange, immer noch „Denken”. Aber ich kann es nicht mehr als „mein Denken” bezeichnen. Der Mensch besitzt kein Denken für sich selbst. Selbste als solche können weder denken noch sprechen. Das Denken ist uns eingegeben, daß jeder von uns zu dem geistigen Zusammenklang beitragen kann. Diese „Eingebung” (inmission) also ist der zweite Grundbestandteil. Zuvor waren wir Individuen, nun sind wir Vertreter und Sprecher der gesamten Gattung.

Die dritte Seite der Pfingstbotschaft führt zu „Auslassungen” (o-missions), Aus- und Weglassung (omission und pretermission) dienen dazu, die blendenden und betäubenden Kräfte der Welt auszuschließen. Ein Stück der Welt, eine Mode, ein Gerede, ein Vorurteil muß ausgeschlossen werden, bevor Gemeinschaft möglich ist. Der säkularisierte Wahn, daß die ganze Welt, so wie sie ist, am Gottesdienst teilnehmen könne, ist ebensolch Mißverständnis wie die Beschränkung von „Sünde” auf unsere Laster. Die Welt ist voll von unwiderstehlichen Versuchungen, die freilich für jeden einzelnen verschieden sein mögen. Eine Art von Askese ist wesentlich für den Gottesdienst, obgleich jeder etwas anderes „auszulassen” (omit) tat entsprechend jeweils seiner besonderen Versuchung.

Drei Zugänge also, Zugeständnis (admission), Eingebung (imxnission) und Weglassung (omission), kennzeichnen jede Gruppe, die den Geist zu erlangen fähig wird. Für den durchschnittlichen Kirchgänger scheint dieser feststehende, gesetzmäßige Zugang grundsätzlich auszureichen für die Bildung des Leibes Christi. Er kann auf die Askese des Fastens als organisierte Weglassung (omission) verweisen, auf die Sündenbeichte als legalisierte Zugabe (admission) und auf die Taufe als formalisierte Eingebung (immission) als Ausdrücke der drei Grundbestandteile jedes gesetzlichen Gottesdienstes. Aber das Gesetz macht niemanden jemals gerecht! Pfingsten betont die Früchte des Geistes, die Mission.

Wo sich zwei oder drei trotz der Masse wirklich zusammengefunden haben, muß etwas geschehen. Wir können sogar sagen: wenn nicht Mission daraus folgt, haben die zwei oder drei sich gar nicht in Seinem Namen versammelt. In diesem Falle ist Sein Name vergebens angerufen worden, wenn auch mit noch so viel Verehrung. Denkmäßig kann daran kein Zweifel sein, daß unsere größte Sünde das fruchtlose, obgleich ehrfurchtsvolle Anrufen Gottes ist. Mission allein rechtfertigt Zugabe (admission), Eingebung (immission) und Weglassung (pre-termission). Sie wandelt Gesetz in Gnade um. Können wir nun das Grundelement von Pfingsten, die Mission, einsehen, das auf der Hand liegt und für das sogar in dem gewöhnlichen Gottesdienst einer typischen Vorstadtkirche zu jeder Zeit des Kirchenjahres gebetet werden kann? Wo aber kann die Wiederzulassung (readmission) des Pfingstwunders stattfinden, wenn und solange wir glauben, daß wir schon als Kirchgänger eines Geistes seien?

Allein durch die Mission werden wir wieder eingelassen (readmitted) in den Vorgang der Umwandlung unserer Erde. Ohne diese Erfahrung werden wir nie die Kraft und Stärke gewinnen, einen Gottesdienst in seiner Fülle zu feiern. Der Geist muß so von uns ausgesendet werden, daß er mit großer Gewalt zu uns zurückkehrt, mit einer Gewalt, die uns von da an eine andere Sprache sprechen läßt. Wenn nicht der Geist in uns von dem Bruder, den wir durch unsere Mission gewonnen haben,, auf uns zurückkommt, ist das Leben des Geistes nicht vollkommen. Licht wird zurückgestrahlt, oder es ist kein Licht. Der Geist muß auf uns zurückkommen!

III. Vielsprachig

Ein feststehendes und einordnendes Denken hat Mission mit der Heidenwelt draußen und Liturgie mit der Heimatfront zusammengekettet. Infolgedessen wurde die Liturgie zum Gesetz und die Mission zu Medizin, Erziehung oder sozialer Wohlfahrtspflege.

Nach zwei Weltkatastrophen ist von den Heiden nicht viel zu hoffen. Aber das riesige Feld des Namenchristentums innerhalb unserer eigenen Kirchen rückt in das Blickfeld. Pfingsterfahrung oder -kraft wird nun von der Christianisierung der „Christen”, Katholiken oder Protestanten, abhängig. Während des zweiten Weltkrieges ließ der Papst Protestanten und Juden zum Vatikan zu, ohne ihre „Bekehrung” zu verlangen oder zu erwarten. Damit demonstrierte er, daß er Christ und nicht bloß Katholik sein muß. Das war ein Wunder, ein wahrhaft pfingstliches Wunder, das auf das erste Pfingsten deutete; denn zum ersten Pfingsten wurden keine Heiden bekehrt und keine Auslandsmissionen eingesetzt. Daher müssen wir nun zugeben, daß das ursprüngliche Pfingsten nicht ein Phänomen der Bekehrung, sondern eines der vielsprachigen Offenbarung war. Die Vielförmigkeit des wahren Geistes wurde offenbar. Septiformis, siebenfältig, spricht der Heilige Geist. Das Zeitalter der Kernphysik muß dieses Wunders gewahr werden. In der Physik muß sich jeder derselben Formeln bedienen. Das gilt jedoch nicht in dem siebenfältigen Reich des Geistes. Der eine Geist kann die Glieder irgendeines Bekenntnisses, verschiedener Bekenntnisse als Glieder des Ganzen, ja sogar Gläubige und Ungläubige als Glieder des Universums zu einem vielsprachigen Ausdruck des einen Geistes bewegen, der keine einheitliche Namengebung oder keinen einheitlichen Sprachgebrauch Alten und Jungen, Männern und Frauen, Gebildeten und Ungebildeten aufzwingt.

In der Offenbarung Johannis wird die dritte Person der Dreieinigkeit als sieben Geister um den Thron des Vaters und des Lammes beschrieben. Die Fülle des Geistes kann dem, der sie wirklich erfahren will, nicht anders vermittelt werden als in der Weise eines siebenfach gebrochenen Lichtes, eines in den sieben Formen unserer Erleuchtung geäußerten Geistes. Der oberflächliche Superioritätskomplex unseres modernen Denkens hat die Kritiker dazu verführt, dieses Gesicht verächtlich zu machen. Dies beweist, daß die „Intellektuellen” den Zugang zu Pfingsten verloren haben. Das Denken wurde blind, und die Liberalen kündeten schon den Tag an, an dem wir alle dieselben Dinge sagen, dieselben Gedanken denken, über den ganzen Erdball dieselben genauen wissenschaftlichen Formeln gebrauchen würden. Solange dieser „Monismus” einer wissenschaftlichen Sprache als Ziel des Menschengeschlechts betrachtet wird, ist Pfingsten unnötig. Solches Denken scheint mir daran schuld zu sein, daß die Bedeutung von Pfingsten so oft auf den Befehl am Ende des Matthäus-Evangeliums: „Geht in alle Welt…” beschränkt wird. In Wirklichkeit haben dieser Befehl und Pfingsten wenig miteinander zu tun. Mission im Sinne Pfingstens verlangt von dem Missionar selbst einen Wandel seines eigenen Denkens, einen Preis. In der äußeren Mission wird dieser Preis in der Gestalt von Armut, physischem Leiden, gefahrvollen Entbehrungen und Einsamkeit bezahlt. Aber in Jerusalem war der für das erste Pfingsten bezahlte Preis von anderer Art.

Ein solcher Preis wurde bei einer Pfingsterfahrung im Jahre 1951/52 bezahlt. Ein Jahrzehnt lang sah die alte Schweizerstadt Basel eine Kontroverse in ihren Mauern toben zwischen dem großen protestantischen Theologen Karl Barth und dem Beichtvater der katholischen Studenten, Hans Urs von Balthasar. Übertritte führender Patrizier zu Rom milderten den Gegensatz nicht.

Wer sich mit Theologie beschäftigt, weiß, daß in dieser Zeit Barth sein vielbändiges Werk über das Dogma veröffentlichte, das die Einheit zwischen Kalvin und den Vätern der alten Kirche wiederherstellte. Von Balthasar fühlte das entgegengesetzte Verlangen, seinen eigenen Glauben mit Barths Einsichten wieder zu verbinden. Dies schien von Grund aus unmöglich, da Barth Roms Stellung „antichristlich” genannt hatte. Barth wandte sich wesentlich gegen das Verlangen der Scholastik, in der Theologie soviel wie möglich ohne Beziehung auf Christus zu beweisen und der Welt und der menschlichen Natur etwas Gutes vor Gott zuzugestehen ohne Hinblick auf das Kommen des vollkommenen Menschen und vollkommenen Gottes. Barth würde sagen: „Gewiß Christus einen Platz in der Welt. Aber sie denken, daß die Welt schon vor und ohne Ihn sinnvoll ist.” Von Balthasar war ein Mitglied der Gesellschaft Jesu, eines Ordens, in dem die Mitglieder sehr langsam aufsteigen. Der höchste Rang lag noch vor ihm. Er wußte nicht, ob er als Jesuit weiter die Freiheit haben könnte, das Basler Universitätsgespräch fortzusetzen; aber dieses Gespräch war zum Gebot seiner Existenz geworden. Die größte Sendung (mission) seiner ganzen Laufbahn schien ihm in dieser Umwendung und der Hinwendung zu diesem Kalvinisten zu liegen, der sich so wundervoll mit dem Gedanken der Väter der ersten vier Jahrhunderte verband. Wir müssen daran denken, daß die Mission, in die wir zu Pfingsten gesendet werden, einen Preis verlangt. Wir können nicht eines Geistes werden, ohne unsere Denkweise aufzugeben. Von Balthasar verließ den Orden; er hörte auf, Jesuit zu sein; er entsagte dem Schutz und der Macht dieser Phalanx der römischen Leibwache. Unbewaffnet und entwaffnet auf das Geheiß des siebenfältigen Geistes gab er auf (omitted) und ließ er weg (pretermitted) seine weltliche Stellung eines kämpfenden Mönches und schrieb seine 419 Seiten über Karl Barths Theologie. (H. U, von Balthasar, Karl Barth. Olten. Hegner, 1951). In diesem Buche versucht der katholische Priester (nachdem er seinen Orden verlassen hat, bleibt er doch noch Weltpriester der katholischen Kirche) nicht, Barth zu widerlegen. Vielmehr zeigt er, daß jeder gute Katholik Barths Stellung annehmen könnte, ja sollte. Balthasar bemüht sich sehr zu zeigen, daß die Katholiken auf die analogia entis, die natürliche Güte des Geschöpfes, nicht so starke Betonung legen. Die Katholiken meinten nicht, daß Christus nur ein nachträglicher Zusatz zur Welt sei. Von Balthasar fragt, ob denn kein gemeinsamer Ausdruck bestünde, in dem Barth und die Katholiken gemeinsam Gott preisen könnten. Indem er inhaltlich Barths mächtige Wiedereinsetzung Christi in das Zentrum übernimmt, schlägt von Balthasar die gemeinsame Formel vor: die ganze Welt in Christus.

Der Leser wird verstehen, daß mich im Augenblick nicht die Formel selbst interessiert, sondern der dahin führende Weg, der pfingstliche Weg der Entwaffnung. Christen rüsten nicht auf, sie rüsten ab. Dem Weglassen (pretermission) weltlicher Hindernisse, äußerer Zeichen und Würde folgt die Kraft, auf die Wahrheit des angeblichen Feindes zu hören und ein neues Wort wird gesprochen, das sowohl Protestanten wie Katholiken bindet. Das ist Mission. Der Tisch ist gedeckt für das gemeinsame Mahl. Ite, missa est.

IV. Geist bricht Denkweise

Wir haben genug von den ewigen Polemikern, die nur einander ablehnen, und sehen hier einen neuen Weg der Theologie. In jeder echten Verbundenheit wie in der der Ehe, wird das Gegeneinander verschiedener Gesichtspunkte nicht kämpferisch ausgetragen. Wie wird es denn ausgetragen? Seltsamerweise weiß das ein jeder, aber Bücher über Logik schweigen sich über diese tiefgründige Methode aus. Die Logik einer Diskussion zwischen Gatte und Gattin besteht darin, daß der Gatte die Interessen der Gattin verteidigt und die Gattin die des Gatten. Ich bin unendlich fruchtbarer, erfinderischer und vernünftiger, wenn ich die Sache meiner Frau verfechte, als wenn ich es mit der eigenen tue. Echte Partnerschaft stellt mein Denken zur Verfügung meines Partners und seines zu meiner. Unser Denken arbeitet viel besser für unseren Partner als für uns selbst. Der Geist wurde dem Menschen nicht für ihn selbst gegeben. Selbstvertrauen ist Mißbrauch der größten Geschenke des Geistes, unserer Vernunft und unseres Vertrauens.

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß dies der christliche Gebrauch des „Denkens” ist. Das pfingstliche Element, unsere eigene Sprache in die Gabe des siebenfältigen Geistes zu wandeln, kommt zu uns zurück als echte Vernunft, weil nun das Denken von der Selbstversklavung frei ist. Durch ein „Ausschweifen des Denkens” können wir unser Denken dem Heiligen Geist zu Gebote stellen. A und B tauschen die Schwerter, und A kann nun B’s Stellung verteidigen; B kann A’s Absicht vertreten. Beide lernen dabei, des anderen „Geistesform” mit zu umschließen. Von der Polemik kommen sie zur Übereinstimmung.

Diese neue Freiheit wird das Gesetz der Freiheit, der Mission innerhalb der christianisierten Welt, sein. Künftige Mission kann nicht voraussagen, welche Gestalt der erweckte Glauben annehmen wird. Nur so kann sie als Mission wirkkräftig bleiben.

Der moderne Mensch hat eine schlimme Fähigkeit entwickelt, seine Gedanken des Göttlichen, Wunderbaren und Sakramentalen in kirchliche Ferne abzuscheiden. Aber das äußere unserer Rituale bedarf des Inneren unserer Erfahrungen, Und die erste Erfahrung bleibt, daß der Mensch den Mitmenschen ein Wunder ist und ein solches bleiben soll. Es ist ein Wunder, wo immer Gegner zu Mitarbeitern werden; denn dann haben sie sich wohl entschlossen, „mehr als Eroberer”, mehr als Sieger zu sein.

Dies kann auch neues Licht auf unsere Stellungnahme zur äußeren Mission werfen. Der afrikanische Häuptling kann nicht zur Bekehrung aufgefordert werden, wenn er nicht als eine verantwortliche Person, eine liebende Seele anerkannt wird, der für andere im richtigen Geiste gedacht hat, schon lange bevor der Heilige Geist auf ihn herabgebeten wurde. Es mag wohl sein, daß sein geheimer Panther-Bund in einen öffentlichen umgewandelt werden muß. Aber dieser Wilde war nicht innerlich sozusagen bedeutungslos und leer. Man kann von ihm nicht erwarten, daß er sein Pantherfell abwirft, wenn nicht auch der Missionar irgendwie ebenfalls seine Haut abwirft.

Die Trennung zwischen Heimatkirche und äußerer Mission ist zu weit gegangen. Auch unter uns leben noch viele Menschen in heidnischem Aberglauben. Wir sagen von den Heiden: „Sie können nicht bis drei zählen.” Dies halten wir für die niedrigste Denkstufe von Wilden aus dem Steinzeitalter, Und doch hat jeder Polemiker dieselbe primitive Denkart. Jeder in unserer Mitte, der sich rühmt, Liberaler oder Konservativer zu sein, kann offenbar nicht bis drei zählen. Ein Christ darf nicht auf einer solchen Einseitigkeit bestehen, die seinem Denkleben Beschränkungen auferlegt. Niemand kann etwas anderes sein als ein Liberal-Konservativer oder ein progressiver Reaktionär. Alle weltlichen Losungen des Parteigängertums müssen untergehen in der großen Wiederaufnahme (readmission) von Pfingsten; denn dies lehrt die wahre Vernunft. Nur der hat das Werkzeug seines Gehirns umgewandelt in die Sendung des Geistes, wer in sich auch das Denken seines größten Gegners aufnimmt. Er ist der Mann, der auch für die Frau eintritt, der Kapitalist, der für den Arbeiter, der Bankier, der auch für den Geistlichen eintritt. Um dieser Sendung willen wurde das Werkzeug des Gehirns in unseren Körper gepflanzt.

Wo zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind, verschwindet der Unterschied und die Entfernung zwischen einem Dorfe in Neu-England und der Mission in Zentral-Afrika. Die Mission und der Sonntagsgottesdienst verlangen Wunder derselben Art. Die Mission ist ein unerläßlicher Bestandteil deiner und meiner besonderen Gottesverehrung.

Dies ist die große Wiederaufnahme (re-admission), die notwendig ist, wenn nicht der Gottesdienst allein unter dem Gesetz stehen und bar der Gnade sein soll. Zu Pfingsten werden die Zungen, die getrennt waren, wieder zugelassen (readmitted) in dem Zusammenklang des einen Geistes.

„Pfingsten und Mission” ist Teil des PDF-Scan

  1. Übertragen von Martin Strauß aus: The Hartford Seminary Bulletin, Winter 1954/55.