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Rosenstock-Huessy: Buch und Funk (1966)

Sonderdruck aus:
Hundert Jahre Kohlhammer
1866-1966

Als Sonderdruck im Buchhandel nicht erhältlich

W. Kohlhammer Verlag Stuttgart Berlin Köln Mainz

Buch und Funk

Von Eugen Rosenstock-Huessy

Die Reformation hat die deutsche Nation zunächst zum Volke des Buches der Bücher und hernach zum Akten- und Schulvolk umgebildet. Germania docet, sagte ein wohlwollender Papst. Goethe schreibt daher in „Dichtung und Wahrheit”, er sei nicht wenig erschrocken, als ihm der geistreiche Dr. Gall auf den Kopf zusagte, er sei zum Volksredner geboren. „Denn dann wäre bei einer Nation, in der sich nichts zu reden fand, alles übrige, was ich vornehmen konnte, leider ein verfehlter Beruf gewesen.” Ist das Gleichgewicht noch immer gestört? Haben der Rundfunk, die Wahlreden, die „Demokratie”, das Fernsehen nicht die mündliche Welt glanzvoll zurückgewonnen? Mein Verleger möchte meine Meinung dazu hören. Beim Nachdenken und beim Besprechen mit anderen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß trotz der Hunderte von Wahlreden im Jahre des Heils 1965 der Charakter der deutschen Sprache noch immer professoral und aktenmäßig sei, wie ihn das 16. Jahrhundert mit seinen Akten und Schreibstuben all der Fürstenstätlein geprägt hat. So wie de Gaulle als eine Art Napoleon IV. den französischen Charakter konserviert, so konservieren die Wahlreden das Professorendeutsch, und zwar gerade durch die neuen Sprachmittel des Funks. Was ist dies Professorendeutsch? Als ich Student war, bat Alfred Weber einen Mannheimer Industriellen um eine Mitteilung seiner Erfahrungen für sein Seminar. Der Mann kam auch nach Heidelberg hinüber und begann mit einer Entschuldigung, daß er nicht alle die Bücher zum Thema habe studieren können, sondern sich auf die und die stützen werde. Und von seiner eigenen Erfahrung kam nichts zur Sprache. Da also ist „das Deutsche Volk einig mit seinen Professoren”, sogar dann, wenn der Professor von sich loskommen möchte! Daher betröge ich mich, wenn ich 500 Jahre nach Johannes Gutenberg Lesen und Schreiben einerseits, Hören und Sprechen andererseits, also Schrift und Sprache ohne weiteres entgegensetzte. Unsere Reden sind längst Schreiben geworden. Ob umgekehrt unsere Schreiben Reden geworden sind, bleibe offen. Aber wenn unser Sprechen Schreiben, unser Deutsch Schriftdeutsch ist, dann ist das Leben der deutschen Sprache auf der Erde gründlich verändert.

Zunächst werden meine Leser über meine Behauptung böse werden. Meine erste Antwort darauf lautet leider: Böse geworden bin ich selber am meisten, als mir das mitgeteilt wurde. Es geschah folgendermaßen. Ich wurde vom Rundfunk zur Mitwirkung eingeladen, und begab mich mit einer Freundin in das Funkhaus: die Begleiterin kam mit, damit ich vor ihr als lebendiger Zuhörerin meinem Herzen Luft machen könne. Andert-halb Stunden, d. h. dreimal je dreißig Minuten sollte die Aufnahme aufs Band dauern. Als wir nun eintrafen, sahen sich die freundlichen Techniker nach meinem Manuskript um und als die vertraute Bewegung nach dem Papier in meiner Brusttasche ausblieb, wurden sie unruhig, ob ich nicht wisse, daß ich dreimal je 30 Minuten zu sprechen habe. Doch, das wisse ich. Wie ich denn das ohne drei abgemessene schriftliche Unterlagen einhalten könne? Oh, das sei keine Schwierigkeit. Das Geplänkel ging weiter und es stellte sich heraus, daß diese vollbesetzte Aufnahmestation vor mir noch keinen einzigen mündlichen Sprecher beherbergt hatte. Sie hielten es für undenkbar und untunlich, einem manuskriptlosen Sprecher das kostbare Gerät zu öffnen. Denn ich würde a) husten, b) mich versprechen, c) steckenbleiben. Vergebens berief ich mich auf des Kultusministers Carl Heinrich Becker Satz: „Ein guter Redner ist nie ein guter Redner.” Die drei freundlichen Leutchen wurden nur offenbar durch meine mit anwesende Freundin gehindert, grob zu werden. Als diese sich gleichsam verbürgte, daß kein Unglück passieren werde, gaben sie mir ihr Gerät schließlich frei. Sie hatten zum ersten, zum allerersten Mal die Vorstellung gewonnen, es könne der Rundfunk echter, mündlicher Rede dienen. Das war ihnen neu.

Die Funktechniker selber hatten also bis dahin ihren Funk unter die Schriftformen gerechnet. Als die Bolschewiki 1917 ihre Funksprüche an Alle in die Welt funkten, als die deutschen Funker 1918/19 beim Zusammenbruch einen eigenen Funkerstaatssekretär verlangten und zu seiner Erzwingung mit dem Streik drohten, als der Papst 46 Jahre nach Trotzki und Lenin ebenfalls an Alle ohne Unterschied der Konfession funkte, da trat nicht die menschliche Sprache in den einzelnen zurück; vielmehr wurde ein neues Vervielfältigungsmittel dem Buche angereiht und wurde „politisch” wichtig.

Ich möchte eine eigene Erfahrung von 1912 anreihen. Damals wollte sich die berühmte Juristenfakultät der Universität Leipzig verjüngen; sie fand sich nämlich überaltert und forderte sechs junge Männer zwischen 24 und 34 Jahren gleichzeitig auf, sich in ihr zu habilitieren. Jedem Neuling wurden 30 Minuten für eine Probevorlesung vor der versammelten Fakultät eingeräumt. Fünf lasen ein Manuskript 30 Minuten lang ab, getreu dem Terminus „Vorlesung”; einer sprach frei, aber war nach 27 Minuten fertig. Mit den „fünf zu eins” aus diesem Beispiel ist wohl auch heute noch der Grad der Mündlichkeit in deutschen Landen richtig bemessen. Und wenn ich noch weiter zurückgehe, so finde ich mich auf einer Studentenversammlung in Heidelberg, in der es für und wider den Trinkzwang ging. Die Gelegenheit ist mir unvergeßlich, weil dort die Versammlung über ihren Ausgangspunkt und ihren Zweck hinausgerissen wurde; es entzündete sich nämlich Redner an Redner. Sie schlugen ineinander Wurzel.

Von da her muß ich dem Trennungsstrich zwischen Buch und Funk widerraten. Beide gehören auf die Seite der technischen Machtmittel. Deshalb verfahren beide individuell; sie werden vom eigenen Willen beherrscht. Mündlich, vollmündlich ist aber nicht die auswendig gelernte Rede. Sondern das, was „mündlich” heißen dürfte, wird hervorgerufen! Eines Anderen eben dadurch zur Person aufwachsenden Gestalt wird widersprochen, zugesprochen, entsprochen. Von ihm also wird mir meine Rede entrissen. Alles, was meinem Nachdenken allein entstammt, gehört zusammen und tritt in Gegensatz zu allem, was mir ein anderer Sprecher oder Schreiber abzwingt und abnötigt. Erst damit werde ich zu einer Zeile im öffentlichen Gesang oder im vertrauten Gespräch meiner Gruppe. Wie es aus dem Wort „Gesang”, aber auch aus „Gespräch” heraustönt, spricht alsdann eben nicht nur mein Kopf, sondern mein Wort entspringt dann auch der Leidenschaft. Und nur das, was aus Herz und Nieren, Sinnen und Kopf zugleich gespeist wird, ist volle Sprache. Diese Norm unserer Sprache heißt heute „existentiell”. Aber außer Professoren und Beamten sprechen alle Menschen aller Zeiten so. Der Wiederentdeckung und Wiedergewinnung dieses Sprachenschosses gilt mein Lebenswerk, besonders aber die zweibändige „Sprache des Menschengeschlechts”. Nur im Beamtenstaat und wegen der Professorenvergötzung mufl es eigens gesagt werden, daß die Kopfsprache eine blofle Stenophonie des Kehlkopfes ist. Wie die Stenographie die Schrift verkürzt, so verkürzt die Kopfsprache unsere wirksame singende und sagende Sprache zu der - am besten abgelesenen - Bildungsprosa. Diese Sprache entspringt ohne vorhergehendes Hören, und das heißt ohne Mitleidenschaft unserer Herzen. Die Ursache für diese geringere Gewalt der Bildungsprosa ist leicht nachprüfbar: Unser Herz wird nicht beim eigenen Sprechen aufgeregt, sondern erst beim Hören! Davon überzeugt jeden die Erfahrung mit seiner Weckeruhr; ihr Klang fällt auf unser ungeschütztes Herz. Nicht der Mund, sondern das Ohr bedient das Herz. Wenn die Bibel meint, aus der Überfülle des Herzens spreche der Mund, so mußt du bedenken, dafl „die dunklen Töne im Herzen wunderbar schliefen” und daß sie auf dem Hörwege dort hin gelangen. Als Metternich in Wien der Zensur befahl, es müsse der Schauspieler Schillers Vers: „Es gibt eine Stelle in meinem Herzen, zu der das Wort Vater nie gedrungen ist” umändern in: „Es gibt eine Stelle in meinem Herzen, zu der das Wort Onkel nie gedrungen ist”, da schuf er uns einen Anschauungsunterricht für die Gewalt des gesprochenen Namens: Alle Welt lachte.

Erst dort wird die Sprache volle, menschliche, mitreißende Sprache, wo die Worte von Herz und Nieren ebenso gespeist werden wie von Verstand und Einsicht. Auch bei Luthers berühmtem Vorschlag, die Worte Maria plena gratia mit Du Liebe Maria zu übersetzen, ist dies Zusammenwirken von Zungenschlag und Herzschlag und hörbarer Anrede 1.

Im Jahre 1917, beim Sturze des letzten geistigen Staatsmannes, Bethmann-Hollwegs, ging uns an der Front auf, dafl wir nun eine bloße Hindenburg und ein nacktes Ludendorff werden sollten, und das merkten wir daran, dafl niemand mehr sprach, sondern alle nur „kundgaben”. „Spruch und Rede” schrieb ich im August jenes furchtbaren Jahres, das unser Schicksal auf 100 Jahre gepr‰gt hat. Es ging uns auf, daß die Herrschaften daheim viel weniger herzhaft redeten als wir. Sie schrieen, sie leierten ihre hölzernen Sprüchlein herunter. Sie hatten keinen Wunsch oder keine Hoffnung mehr, bei neuen Hörern Gehör zu finden, sondern wie die Kinder im dunkeln Wald schrieen sie nur sich selber Mut zu. Aber 1000 Jahre lang, seit Pippin und Karl dem Großen, hatte es die deutsche Sprache an sich, das geistige Gefährt eines christlichen Heeres, also einer wachsenden Gemeinschaft, zu sein. Darüber später noch mehr. In unserem eigenen Zeitalter hat der alte Moltke erst den Pour le Merite der Friedensklasse erworben, bevor er Königgrätz schlug. Gneisenau und Beck waren jener Art, die Goethe als die des gebildeten Offiziers bewundert hat. Sie hatten ihren Kopf und ihre Nieren und ihr Herz und ihre Sinne alle vier zur Stelle.

Solche Sprechweise aber ist die einzige, die den Nationen das Recht gibt, Krieg zu erklären. In dem Augenblick, wo Ludendorff und Michaelis diese Art Sprache mundtot machten, konnte die Nation nicht mehr Frieden schließen; jeder Nichtangriffspakt Hitlers war eine Kriegserklärung. In keiner deutschen Staatslehre wird uns mitgeteilt, die Kriegsfähigkeit der Nation hänge daran, dafl sie ununterbrochen fähig bleiben müsse, glaubwürdig, also friedensfähig zu bleiben. Einzig auf deutschen Universitäten lernten die Studenten: „Der Sinn des Staates ist der siegreiche Krieg”. Eine Nation, die nicht mehr Frieden schließen kann, verwirkt ihr Daseinsrecht. Friedensschlüsse aber entströmen jener echten überströmenden Sprachkraft, die meine und deine Berechnungen überbietet. Das erfahren nicht nur die Nationen; so erfährt es jeder einzelne. „Der König und die Kaiserin, des langen Haders müde, bezähmten ihren harten Sinn und machten endlich Friede” … dieser Spruch gilt für uns alle.

Zur Wiedergeburt der Sprache in uns kommt es am deutlichsten, nachdem wir erst aufs Trockne gesetzt worden sind. Wem es einmal die Stimme verschlägt, wer erst einmal mundtot gemacht wird, der kann auf zweiter Ausreise die Sprache wiederfinden. Es genügt nicht, Schriftsprache gegen mündliche Rede zu stellen. Die Gebote des Christenglaubens gelten auch für die Sprache. Die abgegriffene mündliche Sprache mufl gestorben, muß unbegreiflich geworden sein im Anprall auf Unverstand, Widerspruch, Auspfeifen - daran kann sie neu erstehen! Diesem unvermeidlichen Tod des Wortes vor seiner Auferstehung sann jener Aufsatz von mir im August 1917 nach. Ich schrieb ihn wie gesagt vor Verdun, wo wir Feldgrauen zuerst unserer Muttersprache Ermordung durch die Heimkrieger mit anhörten, wir, die wir doch trotz Krieg die Brüder unserer Feinde im Gegengraben bleiben mußten. Seit 1915 wollten die undeutschen Schreier daheim schon die europäischen Brüdervölker, Belgier, Franzosen, Polen, Engländer usw. ausrotten oder evakuieren. Durch diese Schreier starb damals viel von der deutschen Sprache. Es ist ein ungeheueres Geheimnis, dafl die deutsche Sprache nur leben kann und leben wird, solange französisch, polnisch, italienisch, englisch auch florieren. Die Mündlichkeit und die Literatur unserer eigenen Sprache ist nämlich gar kein einzelnationaler Besitz! Die Erörterung über unserer Sprache Schriftcharakter oder das Ausmaß von Schriftlichkeit im Deutschen ist keine deutsche Angelegenheit. Denn die verschiedenen Sprachen hängen alle aufs zarteste in einer labilen Gleichgewichtssuche miteinander zusammen. Luther nahm uns das Latein aus dem Gottesdienst fort; da kroch das Latein der Messe und der Vulgata in die Akten der Kanzleien als amtsdeutsch. Und das Gelehrtendeutsch der deutschen Bücher wurde die Amtssprache aller Doktoren, also der Theologen, Philologen und Chemiker von Timbuktu bis Samarkand. Indem Polen und Franzosen und Italiener und Deutsche und Ungarn und Hebr‰er in einem Glaubensverbande seit 750 lebten, wurden die weitesten Abstände im Bau dieser Sprachen durch ihre Öffnung gegeneinander überboten und wer deutsch sprach, sprach deshalb innerhalb der ganzen Menschheit, weil er sein Deutsch innerhalb einer Völkerfamilie sprach. Die Nationalisten ganz Europas beherrschten das Hebräische, das Griechische, das Lateinische. Mit diesen Sprachen waren sie ausgerüstet, bevor ein jeder von ihnen auf den weiflen Hirsch seiner eigenen Sprache jagen ging. So machten diese vielsprachlich vorgebildeten Erfinder der Nationalsprachen ihre eigene Sprache reich, weil sie aus allen Sprachen die eigene hervorriefen.

Die deutsche Sprache ist eben aus einem mit Franzosen und Italienern um die Wette gesungenen Terzett in die Welt getreten. Erst haben sich die Zeitgenossen als Deutsche und Franzosen gegenseitig angeredet, ehe ihre lebenden Sprachen von ihren Sprechern abgelöst und von den Gerbern und Schustern der Philologie gedörrt werden konnten. Inmitten der christlichen Ära sonderte sich nämlich die Sprache des Frankenheeres von der Sprache der Frankenerde, jene hieß nun deutsch, diese französisch. Aus nachbarlicher Anrede stammen die beiden Hauptsprachen Europas. Nicht Mythos, sondern Anrede sind „deutsch” und „französisch”, wie ich gezeigt habe2.

Was sind das für Lehrer ihres Volkes, die ihm seinen brüderlichen Ursprung aus gegenseitiger Anrede verschweigen. Das schöne Werk der Aachener Karlsausstellung wird geradezu entstellt durch den Abschnitt „über das Wort deutsch”3. Er verleugnet nämlich den geistlichen Zusammenhang unserer Sprachen. Aber ein Deutsch, in dem von Verbrechern die Ausrottung der polnischen Intelligenz, der jüdischen Minderheit, der Zigeuner, der Menschen mit Hasenscharte befohlen wird, stirbt als gläubig und hingebend gesprochene Sprache ab. Hitler, Göbbels, Streicher haben ein Greisenalter der deutschen Sprache heraufgeführt. Sie sind selber erschreckende Elemente im Wahnsinnig werden unserer Sprache. Denn sie rissen das Deutsche aus der Arbeitsteilung von Schwesternsprachen heraus, aus einer Arbeitsteilung, in der dem Deutschen eine großartige Rolle bis 1933 oblag. Theodor Mommsens Todeswarnung lange vor ihrem Grabe steht im XIII. Bande des Corpus Inscriptionum Latinarum 1872. Wir wissen also längst nicht genug über Schrift und Sprache, Buch und Funk, wenn wir sie aufs Deutsche eingeschränkt behandeln zu können wähnen.

Die Sprache der menschlichen Familie ist eine Einzige. Und sie kommt aus unseren Herzen nicht als einzelne, sondern als menschliche Sprache. Alle Eigennamen von Mozart bis Jesus, von Hitler bis Judas, von Ricarda bis zu Karl und Cäsar sind die wichtigsten Vokabeln dieser universalen Sprache unserer Herzen. Jeder namentliche Anruf dank eines überfließenden Herzens regeneriert die Sprache; nicht die Wörterbücher tun das, sondern die Namen. Die Wiedergeburt voller Mündlichkeit wird gerade dann gefährdet, wenn in jeder Wohnung ein Rundfunkgerät prangt. Auch der Deutsche Sprachreinigungsverein vor 100 Jahren mißverstand die Kräfte, die ein Volk beredt machen. Wer uns namentlich anredet, macht uns beredt!

Darum wird wichtiger als die technische Fragestellung Jahr um Jahr die Entscheidung, aus welcher seelischen Heimat der Sprecher hervorgerufen wird, der sich den technischen Regeln sei es des Buchdrucks, sei es der Antennen unterstellen will. Wer nennt ihn Bruder? Weder die Antenne noch der Buchdruck gewährleisten, daß die Muttersprache in ihnen zu Ehren kommt. Denn dazu müßte die Muttersprache auch als Schwestersprache, Tochtersprache und Vatersprache wirksam bleiben. Des Bibelübersetzers Franz Rosenzweigs (1886-1929) Oheim war der Orthopäde Dr. Aisberg in Kassel. Aisberg behandelte im ersten Weltkrieg einen zerschossenen Inder. Als der Arzt zu ihm trat, begann der Kriegsgefangene zu zittern. Aisberg war erst ratlos, dann sagte er langsam und deutlich, so gut wie er den Namen auszusprechen wußte, mehrere Male: „Rabindranath Tagore.” Nun lächelte der Inder und er zitterte nicht mehr. Da waren Buch und Funk und Rede heimgekehrt in den Mutterschoß der Sprache. In diesem Schoße schließen wir Menschen nämlich Frieden miteinander. Und das ist der Sinn des Satzes, daß Gott immer wieder Mensch werden soll, nachdem er es einmal geworden ist. Er kann es nur, wo der Name Funken schlägt. Sonst erschlagen Papier und Funk unsere Worte.

„Buch und Funk” als PDF-Scan

  1. Darüber Franz Rosenzweig, Kleinere Schriften 1937, S. 204. 

  2. Unter Einbeziehung des Schweizerdeutsch und der Habsburger Kommandosprache ist das dargetan in „Frankreich-Deutschland, Mythos oder Anrede?”, Berlin 1957. 

  3. „Karl der Grofle” Band II, Düsseldorf 1965, S. 300fF.