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Sven Bergmann: Eugen Rosenstock-Huessy in Frankreich

Konsultiert man den französischen Marktplatz von Amazon, so findet man dort nicht eine Übersetzung der Werke Eugen Rosenstock-Huessys. Umso erfreulicher ist der Aufsatz von Thierry Laisney in der Zeitschrift „En-attendant-Nadeau” im Dezember 2019. 50 Jahre nach der Veröffentlichung von „Speech and Reality” beschreibt Laisney den grammatischen Ansatz für die Sozialwissenschaften und für ein Verständnis der modernen Gesellschaft. Nach einigen biographischen Angaben gelingt es dem Autor sehr eingänglich und anschaulich, nicht nur „Sprache und Wirklichkeit” vorzustellen, sondern auch den grundlegenden Ansatz des „Kreuz der Wirklichkeit” für das menschliche Zusammenleben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Laisney beginnt mit den vier Grundübeln jeder Gesellschaft: Anarchie, Dekadenz, Revolution und Krieg: „Anarchie (auch „Krise” oder “Depression” genannt) ist der Mangel an innerer Solidarität, ein “Mangel an Zusammenarbeit und gemeinsamer Inspiration”. Dekadenz ist die Unfähigkeit, sich die Zukunft vorzustellen, sie weiterzugeben. Revolution, der Wille, die Vergangenheit zu liquidieren. Was den Krieg betrifft, so ist er der Versuch, sich ein fremdes Territorium anzueignen.” Diese vier Grundübel zeigen sich immer auch in der Sprache, dem Dreh- und Angelpunkt der Lehre von Eugen Rosenstock-Huessy. Denn die Sprache gibt dem Menschen die Chance, die Übel zu bekämpfen und gemeinsam in neue Verbindungen jenseits aller Trennungen hineinzuwachsen und über die bloß tote Welt der Physik zu triumphieren. „Und die grammatikalische Methode ist die Art und Weise, in der sich der Mensch seiner vierdimensionalen Berufung bewusst wird.” (Eugen Rosenstock). Eine „dogmatische Grammatik” muß diesen Zusammenhang verkennen und führt zu einer weiteren Versteinerung der sozialen Beziehungen: „Rosenstock schreibt dieser Gleichgültigkeit sogar einen Großteil unserer Verwirrung in den sozialen Beziehungen zu, insbesondere den Konflikt zwischen der realen Person und dem Bildungssystemalle anderen Sozialwissenschaften halten ihre Existenz nur von der Notwendigkeit ab, Abhilfe zu schaffen. Eine „höhere” Grammatik, die der “entscheidenden” Liste des Autors entspricht, würde aus den folgenden Formen bestehen: ama (“Liebe!”), amem (“darf ich lieben”), lover (“sie lieben”), amavimus (“wir haben geliebt”). Dazu gehören (zum Beispiel): Politik, Poesie, Wissenschaft, Geschichte.” (Thierry Laisney). Ohne die höhere Grammatik einer Bewertung zu unterziehen schildert der Autor die wesentllichen Unterschiede von traditioneller und höherer Grammatik: „Personalpronomen sind die subjektive Kraft der Sprache. Substantive sind gegensätzlicher Natur, sie stehen außerhalb. Adjektive werden verwendet, um Neues mit bekannten Begriffen zu beschreiben. Verben hingegen kennzeichnen die Transformation des Universums. Nach Rosenstock sind die pronominalen, nominalen, adjektivischen und verbalen Formen ewig. In ihnen werden wir das vom Autor identifizierte Vierfache der Raumzeit xe erkannt haben (jeweils: einwärts, auswärts, rückwärts, vorwärts).” Thierry Laisney beschließt seine Musterung des „originellen” Werks von Eugen Rosenstock-Huessys mit der Vermutung, daß es zu sehr mit Theologie in Verbindung gebracht werde und daher nicht mehr so oft zu Rate gezogen werde.

Thierry Laisney, Eugen Rosenstock-Huessy. Speech and Reality, in: En-attendant-Nadeau, Numéro 91, du 20 novembre au 3 décembre 2019, S. 52-54.

aus: Mitgliederbrief 2020-12