Lise van der Molen: Harold J. Berman: Faith and Order The Reconciliation of Law and Religion
Stimmstein 6, 2001
Harold J. Berman: Faith and Order The Reconciliation of Law and Religion
Atlanta, Georgia (Scholars Press for Emory University) 1993, 415 S. , US $ 24,95
Faith and Order ist eine Aufsatzsammlung aus rund fünfzig Jahren. Alle Kapitel haben, so der Autor im Vorwort, ein gemeinsames Thema: „…die gesetzliche Ordnung einer Gesellschaft“. „Weil heute die meisten Menschen − besonders in akademischen Kreisen − die innerliche Verbundenheit von den Institutionen des Rechts und den Glaubensüberzeugungen nicht mehr sehen, weil Glaube als Privatsache, und Recht (Gesetz) nur als eine Angelegenheit der Öffentlichkeit betrachtet werden, ist dem Autor diese breite Ausführung eine Notwendigkeit geworden“ (S. IX). Es geht ihm nicht um Ethik, Moral oder Werte, sondern um die Kräfte der Religion und des Rechts und um die Dynamik ihrer Interaktion (S. X). Was haben Recht und Religion einander zu sagen? Unser Zeitalter befindet sich in der bedrohlichen Lage einer Privatisierung der Religion und eines Legalismus, d. h. einer Instrumentalisierung des Rechts, die gleichbedeutend ist mit Degeneration. Die Krise des Rechts in den modernen Staaten ist das Thema.1
Der Titel des Buches ist eine Herausforderung an die Kirchen, heißt doch eine der Hauptabteilungen des Weltkirchenrates Faith and Order. Berman besteht darauf, dass es sich um mehr als um Konfessionskunde handelt, wie sie die Abteilung des Weltkirchenrates meistens betreibt. Berman geht es um die Gestaltung des Rechts in der industrialisierten Welt. Da sind alle christlichen Kirchen herausgefordert, besonders die römisch-katholische; denn sie ist Träger des westlichen Rechts (Gratian). Anfang und Ende der USSR (1917-1991) bezeugen das Ende einer tausendjährigen Rechtsepoche. Aus ihr entsprang eine Gesetzlichkeit, welche die Welt revolutionierte und vereinigte. Sie wurde 70 Jahre lang in der USSR an der Bevölkerung erprobt: die Gesetzlichkeit der Naturwissenschaft und der Technik! Jetzt ist die Frage eines Welt-Rechts akut. Die Begegnung mit Israel und anderen Religionen macht sie unausweichlich.
Recht, das in der Art der Naturwissenschaft prozedieren will, ist Unrecht gegenüber Menschen und Völkern. Wissenschaftlich ist es ein „metabasis eis allo genos“. Wenn Naturwissenschaftler auf den Richterstuhl erhoben werden, stehen die Lebensverhältnisse auf dem Kopf und Todesrecht wird verkündigt. Die positivistischen Rechtsauffassungen wirken verheerend. Sie sind Rechtsschein und täuschen Recht vor. In Wirklichkeit legalisieren sie Mord. Menschen, Völ-ker, Gruppen, Religionen werden doppelt bedroht, − von der Gewalt der Industrie und von der Gewalt des instrumentalisierten Rechts. Die Industrie-staaten und ihre Ideologien gehen heute weiter als eine falsch verstandene christliche Mission es je tat.
Was aber hat sich seit der Verrechtlichung der Kirche und seit der Papstrevolution von Gregor VII. getan? Das Recht des Westens entsprang dem liturgischen Leben der Alten Kirche. Letzteres bildet immer noch Hintergrund und Nährboden. Das alte liturgische Leben war nicht ohne Rechtsgestaltung. Im Recht, so Berman, wird etwas anderes verwirklicht als mathematische Gesetz-lichkeit. Das gilt sogar für den Liberalismus und für Frankreich, wo das Recht einer Passion der Vernunft, der Ratio entsprang. Es gab diese Leidenschaft für die Mathematik. Als Göttin wurde die Vernunft verehrt (Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau). Es war diese Passion, die emotionale Inspiration der Entrüstung über den Rechtsverfall, welche die neue Nation bildete. Sie hatte die Vision der Menschenrechte und rief sie 1789 aus, die von der UNO und jetzt sogar vom Papst akzeptiert werden. Straf-, Zivil- und Handelsrecht wurden demnach neu geordnet. Siehe, die Vorherrschaft hat die Gesetzgebung!
Ein neues, das kommerzielle Recht, ist nach den Weltkriegen im Kommen. Die eigene Zeit führt zur Bedächtigkeit. Berman kritisiert die systematische Behandlung des Rechts in der „sozialen Theorie” und in der „Soziologie des Rechts”. Beide stehen in der Nachfolge der positivistischen Schule Max Webers. Für das Weltrecht , das jetzt aus dem internationalen Recht heraus seine Gestalt bekommen muss, so Berman, „Weber‘s formal rational type of legal order would be a scourge and a horror” (S. 280). Niklas Luhmanns modifizierter Positivismus führt letztendlich zu einer eingestandenen Unergiebigkeit, worüber man “staunt und die lächerlich genannt werden muss” (S. 201). Also kann sogar das „kom-merzielle” weltweite Recht seine Verwurzelung in einem gemeinsamen Glauben an höheres Recht als das des einzelnen Staates nicht leugnen. Ohne die Heiligkeit dieses Rechtes können die Webersche Bürokratie und ihr Instrumentalismus nicht bestehen. Das zeigte die „Implosion” des Sowjet Imperiums. Bermans Kritik u. a. an den Soziologen John Rawls und Richard Rorti ist beeindruckend. Im 3. Teil Theological, Prophetic and Educational Themes finden wir bewegende Artikel. Judaic-Christian versus Pagan Scholarship ist in stimmstein 5 abgedruckt. Berman fordert „eine integrative Jurisprudenz”, in der er den einzigen Weg in die Zukunft eines Welt-Rechts sieht, das die modernen Staaten und ihre Rechtsträger von „der Sünde der Kommerzialisierung, d. h. der Habgier” retten kann (S. 351).
Wer Law and Revolution gelesen hat und sich danach sehnt, dass Berman die Geschichte der westlichen Revolutionen und des Rechts fortsetzt, dem wird in diesem Buch ein Vorgeschmack von den Umwandlungen des Rechts im Westen Europas, der neuen Rechtsgeschichten in Deutschland, England, Frankreich und den USA geboten.
-
Der Autor schließt an sein 1974 veröffentlichtes Buch The Interaction of Law and Religion, Nashville, Abingdon Press an:. Er widmete es dem Gedächtnis Eugen Rosenstock-Huessys. Dr. Georg Müller bewertete es in einer ausführlichen Besprechung in den Mitteilungen der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft sehr hoch (21. Folge, Januar 1975, S. 5-10). ↩