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Stephan Grätzel über Rosenstock-Huessy

„Zusammenfassend sind Platons Dialoge, Kants Kritische Philosophie, insbesondere seine transzendentale Dialektik, Hegels Dialektik der Anerkennung, Feuerbachs Anthropologie, Jean-Paul Sartres Phänomenologie des Blickes, Emmanuel Lévinas’ Ethik der Stellvertretung teils Vorläufer des dialogischen Denkens, teilweise haben sie Momente und Elemente der Dialogik verwendet und weiterverarbeitet. Das dialogische Denken selbst hat seit seinen Anfängen bei Eugen Rosenstock- Huessy seit dem von ihm beeinflussten Franz Rosenzweig sowie Martin Buber und Ferdinand Ebner das Wort und die Sprache aus dem Vorurteil monologischer Sprecherzentriertheit heraus geführt. Rosenstock-Huessy ist der Initiator dieser Richtung, er hat einen großen Schatz an tiefen Einsichten hinterlassen, der heute nahezu vergessen ist.”

Stephan Grätzel, Vorwort zu Eugen Rosenstock-Huessy: Die Kopernikanische Wende in der Sprachphilosophie, Alber, 2012

„Die Texte geben insgesamt einen Eindruck des kritischen Potentials von Rosenstock-Huessy aber vor allem von den bis heute nicht gesichteten Innovationen für die Wissenschaften und Praktiken der Sprache. Dem Leser wird damit nicht nur die Rückständigkeit der heutigen Sprachphilosophie aufgedeckt, er wird auch vielfach angeregt, die Macht der alltäglichen Sprache selbst zu entdecken und ihren behutsamen Gebrauch neu einzuschätzen.”

Stephan Grätzel, Vorwort zu Eugen Rosenstock-Huessy: Die Kopernikanische Wende in der Sprachphilosophie, Alber, 2012

„Balthasars Betrachtung der dialogischen Position erkennt zwar den theologischen Anspruch ihrer Vertreter, vor allem Buber, Rosenzweig und Ferdinand Ebner, sieht ihn aber aufgrund der anthropologischen Verankerung oder Zielsetzung, also einer Erklärung des Menschen aus anthropologischen Begründungen heraus nicht erfüllt. Andere Dialogiker wie Feuerbach, Löwith, die diesen Anspruch nicht haben oder sich ihm widersetzen werden bei Balthasars expliziter Befassung mit dem Dialogischen Denken nur gestreift. Mag dieses Vorgehen berechtigt sein, weil Feuerbach und Löwith zwar die Ich-Du Beziehung thematisieren, dabei aber die Sprache völlig außer Acht lassen, so ist der Umstand unverständlich, dass der wichtigste Dialogiker, Eugen Rosenstock-Huessy trotz gelegentlicher Erwähnung überhaupt nicht bearbeitet wird.”

Stephan Grätzel: Hans Urs von Balthasar und das Dialogische Denken

„Die Macht und Gewalt des Wortes als Emeth offenbart sich im Gespräch und Dialog. Diese Gewalt des Wortes hat unter den dialogischen Denkern vor allem Rosenstock-Huessy, den Balthasar wie gesagt nicht berücksichtigt, herausgehoben und in das Zentrum seiner zahlreichen Schriften gestellt. Unverständlich ist, dass Balthasar, der dieses Denken und wahrscheinlich sogar die einzelnen Schriften Rosenstocks gekannt haben muss, dessen Nähe zu seinem eigenen Denken nicht aufgreift. So liegt für beide Denker diese Macht des Wortes in der Fähigkeit, Liebe zu geben und zu nehmen, also den Mitmenschen durch ein liebes Wort anzuerkennen, ihn zu erheben und ihm damit überhaupt erst die Möglichkeit zu geben, er selbst zu sein. Im gleichen Maße kann ein liebloses Wort den Mitmenschen verletzen, ihm den Boden unter den Füßen wegziehen und ihn vernichten. Rosenstock-Huessy hat, wie ich hier nur andeuten kann, in seinen ebenfalls zahlreichen Werken (vor allem in der Leibhaftigen Grammatik und in der Soziologie) gezeigt, dass diese Macht des Wortes von Gott kommt. Der Mensch hat diese Macht immer schon angewandt hat, ohne sich darüber bewusst zu sein, welche Macht er damit ausführt. Erst mit der Botschaft und den Worten Christi hat er auch eine Einsicht in diese Ermächtigung durch das Wort bekommen. Die christliche Botschaft ist damit – philosophisch gesprochen – die Erkenntnis und Einsicht in die menschliche Sprache und ihre Macht und die hieraus folgende Besinnung auf ihre Macht.

Durch die neue Einsicht werden wir angehalten, auf diese Ermächtigung zu achten, also die Wahrheit zu sprechen, Heuchelei zu verabscheuen und vor allem Frieden und einen Bund zu stiften mit unseren Feinden. Die Macht des Wortes überwindet Familien- Stammes- Klassen- und Volksgrenzen, sie reißt die Grenzpfähle nieder zwischen Konfessionen und Religionen. Sie überwindet aber auch zeitliche Grenzen. Das einmal gesprochene Wort bleibt unvergänglich, es gräbt sich in die Geschichte ein und segnet und flucht, wie es ausgesprochen wurde. Auch diese Verbindung zur Zeit und Geschichte ist durch die Sprache gelegt. Das gesprochene Wort gründet eine Verbindlichkeit, die das Ich so stark an das Du bindet, dass es nicht durch Zeit, Raum und „gute“ Gründe getrennt werden kann. Segen und Fluch bleiben verbindlich über Zeit- und Raumgrenzen. Sachliche Erörterungen sind dagegen vergänglich. Das Reden-über ist von seiner Verbindlichkeit her auf niederer Ebene. Anderes ist es mit dem Reden-von, was die Grundfigur der Erzählung darstellt, und damit schon eine Geschichte bildet und erzeugt. Unvergängliche Geschichte oder besser unvergängliches Geschehen ist das Reden-zu oder das Reden-mit, es ist ewig. Wenn es dann noch in liebender Hingabe die feindlichen Grenzen zwischen Familien, Stämmen, Völkern, Staaten und Religionen aufhebt, ist es nicht nur zeitlich unendlich, sondern auch räumlich unbegrenzt.”

Stephan Grätzel: Hans Urs von Balthasar und das Dialogische Denken