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Carl Joachim Friedrich über Rosenstock-Huessy

Trotzki hat die Revolutionen als „rasende Eingebung der Geschichte“ bezeichnet. Frühere Zeiten erblicken in ihr mit Cromwell das Werk Gottes. Beide Ansichten bezeugen, daß die großen Revolutionen unserer abendländischen Kultur die Grundlagen des Lebens in ihrer Gesamtheit umgestaltet haben, und daß ihre Quelle metarationaler Art ist. Die Führer dr Revolutionen haben sich selbst als das Werkzeug Gottes oder der Natur empfunden. Eugen Rosenstock-Hüssy hat die glänzende These entwickelt, jede der großen europäischen Revolutionen sei von einer der großen Nationen Europas durchgeführt worden, die im Verlauf dieser ihrer Revolution ihre eigene Lebensform gefunden habe. Diese Ansicht ist für die französische und englische Revolution verhältnißmäßig leicht zu belegen; schwieriger ist es, seine Beweisführung im Falle der Reformation in Deutschland zu folgen ud noch schwieriger im Falle der päpstlichen Revolution, durch die das italienische Volk sein eigentliches Wesen zum Ausdruck gebracht haben soll. Rosenstock-Hüssy hat auch zu zeigen versucht, daß eine jede dieser „totalen“ Revolutionen trotz ihres nationalen Aspekts den Anspruch erhoben hat, eine „Weltrevolution“ zu sein, von der die Urheber erwarteten, sie würde die Lebensform für ganz Europa gestalten. Dieser Teil der Theorie Rosenstock-Hüssys trifft wohl am wenigsten auf die englische Revolution zu, bei den andern aber dürfte diese universale Tendenz kaum zu bezweifeln sein. Rosenstock-Hüssy hat schließlich darauf aufmerksam gemacht, wie sich die Gruppe der aktiven politischen „Führer“ immer stärker erweitert, von dem einen Papst über die 100 Fürsten der Reformation, die 3000 bis 5000 Landedelleute in England, die 90000 Mitglieder der Bourgeoisie in Frankreich, bis zu der Million oder mehr „Proletarier“ der russischen Sowjets. Diese Erweiterung der revolutionären Gruppe hängt zusammen mit der sich verändernden Klassenstruktur der Gesellschaft. Daher war jede dieser umfassenden „Revolutionen“ bis zu einem gewissen Grad gegen die unmittelbar vorhergehende Revolution gerichtet, weil sie von der Klasse durchgeführt worden war, deren Herrschaft es nun zu stürzen galt. Diese glänzende und imponierende Synthese Hegelscher, Comtescher und marxistischer Elemente vom Gesichtspunkt eines autonomen Gruppenlebens ist zugegebenermaßen keine politische Theorie der Revolution, wenn diese in dem begrenzten Sinne einer Staatsumwälzung verstanden wird.

Carl Joachim Friedrich: Der Verfassungsstaat der Neuzeit (=Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft), Berlin u.a.: Springer-Verlag 1953, S.164ff.