Mitteilungen 2025-08
Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft e.V.
„Immer ist es ein Zerspringen in Vergangenheit und Zukunft und ihre Überschneidung in uns, aus denen ein gegenwärtiges Geschlecht um Zeit weiß. Damit fallen die Scheidewände zwischen Männerwissen und Frauenweise, zwischen Schule und Kirche. Wenn Zeit doppelpolig sich nach rückwärts und vorwärts erstreckt, um uns Gegenwart zu ermöglichen, während welcher beide, Vergangenheit und Zukunft, uns auf die Folter spannen, wenn Zeit immer Zeitspanne ist, dann ist der Blick offen für die Leistung der weiblichen Erfahrung, die dem Manne immer erst angelernt werden muß.
Die sinnliche Ausstattung des Weibes mit einem direkten Zeitsinn kann unbefangen zugegeben werden, sobald gleichzeitig der Erwerb dieses Zeitsinnes jedem geöffnet wird.” Eugen Rosenstock-Huessy, Soziologie - Die Vollzahl der Zeiten, 1958, p.745
Vorstand/board/bestuur: Dr. Jürgen Müller (Vorsitzender);
Sven Bergmann; Thomas Dreessen; Dr. Otto Kroesen
Antwortadresse: Jürgen Müller, Vermeerstraat 17, 5691 ED Son, Niederlande,
Tel: 0(031) 499 32 40 59
Mitteilungen August 2025
Inhalt
- Einleitung - Jürgen Müller
- Die Tochter bei Rosenstock-Huessy - Sven Bergmann
- Tagesordnung der Jahrestagung - Jürgen Müller
- Einladung zur ordentlichen Mitgliederversammlung - Jürgen Müller
- Tagungsort und Anmeldung - Jürgen Müller
- 23. August - Jürgen Müller
- Adressenänderungen - Thomas Dreessen
- Hinweis zum Postversand - Thomas Dreessen
1. Einleitung
Liebe Mitglieder und Freunde,
unsere nächste Jahrestagung mit dem Thema: „Die Gesellschaft als Tochter - Seelische Wandlung oder technische Zerstörung?” wollen wir wieder in Essen im Haus am Turm abhalten. Die Tochter ist ein wichtiges Thema für Eugen Rosenstock-Huessy. Was verband er mit diesem Thema und welche Bedeutung hat dieses Thema für uns heute? Zwei Texte werden dabei eine Rolle spielen, zum einen eines der drei Schlußkapitel aus Die Hochzeit des Krieges und der Revolution: Die Tochter und zum anderen: Antiope oder die Binität. Wir bitten um frühzeitige Anmeldung um die Teilnehmerzahl mit dem Haus abstimmen zu können.
Jürgen Müller
2. Die Tochter bei Rosenstock-Huessy
Fast sein ganzes Leben hat sich Eugen Rosenstock-Huessy mit der Tochter beschäftigt. Schon seine eigenen Schwestern kamen ihm irgendwie merkwürdig vor und der Schüler konnte bereits in Homers Ilias verfolgen, welch gewaltige politische Folgen der Raub einer Tochter zeitigen konnte. In seinem rechtsgeschichtlichen Studium war die korrekte Zuordnung von Schwertmagen oder Kunkelmagen, also der Verwandschaftsverhältnisse väterlicher- oder mütterlicherseits grundlegend. Es gibt außer ihm keinen anderen Juristen, Historiker oder Soziologen, dessen gesamtes veröffentlichtes Werk der Rolle der Tochter in Geschichte und Gesellschaft nachspürt, angefangen mit dem gleichnamigen Kapitel seiner ersten nichtwissenschaftlichen Schrift „Die Hochzeit des Kriegs und der Revolution“ bis zum letzten Kapitel seiner Soziologie: „Antiope oder die Binität“. Der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit (Buch der Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung vorhomerisch, amerikanisch, Berlin: Matthes & Seitz 2020) veröffentlichte seine ersten Studien rund fünfzig Jahre später und in der Geschichtswissenschaft ist das Thema erst jüngst prominent präsentiert worden: Michael Borgolte, Königin in der Fremde. Frühmittelalterliche Heiratsmigration und die Anfänge der europäischen Bündnispolitik, Göttingen: Wallstein Verlag 2024.
Vater, Mutter, Sohn und Tochter sind für Eugen Rosenstock-Huessy die großen Namen, die sich dem Menschen mit den Stämmen eingebrannt haben. Wie kein anderer Ägyptologe konnte er mit dieser Einsicht den Extremfall der Pharaonendynastie deuten, die in den Inzest flüchtete, um sich nicht auf eine Ebene mit normal Sterblichen zu begeben. Das Thema der Tochter war dem Autor so bedeutsam, daß er seinen Freund Bas Leenman bat, das Kapitel von 1920 nach seinem Tod „in einem schönen, weißen Bändchen“ erneut zu veröffentlichen (Eugen Rosenstock-Huessy, Die Tochter. Das Buch Rut, verdeutscht von Martin Buber, hrsg.v. Bas Leenman, Mössingen-Thalheim: Talheimer Verlag 1988.).
Heute ist das Thema der Tochter, der politischen Stimme der ehemals stimmlosen Tochter allgegenwärtig. Man mag nur an die „Me too“ Bewegung denken, an den Widerspruch in der katholischen Kirche oder den Protest von Töchtern gegen patriarchal-autoritäre Regime und ihre überlebten Rituale. Man wird Eugen Rosenstock-Huessy zugute halten müssen, daß er diese Tendenz schon vor einhundert Jahren erkannt und benannt hat. Daneben sehen manche Heroen von einst schrecklich alt aus: „Da die „Moderne“ nichts vom Ritus hielt – diese Moderne, die einem heut bereits total veraltet vorkommt – so leugnete sie, daß Blasphemie möglich sei. Und da die Moderne ja nicht an ihre Tochter zu denken brauchte, weil sie entweder gar nicht erst empfing oder die Frucht abtrieb, so brauchte sie nicht zu gewärtigen, daß die eigene Tochter von dem abtrünnigen Geistlichen so geschändet werden könnte.“ (Eugen Rosenstock-Huessy, Im Prägstock eines Menschenschlags oder der tägliche Ursprung der Sprache, in: ders., Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen, 2. Bd., Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1964, S.521f.)
Deshalb: Zeit ist’s für die Tochter
Sven Bergmann
3. Programm der Jahrestagung
Die Gesellschaft als Tochter
Seelische Wandlung oder technische Zerstörung?
Freitag, 17.10 | 18:00 | Eintreffen |
18:30 | Abendessen | |
19:30 | Einleitung und Herausforderungen: „Die Tochter” | |
21:00 | Geselliges Beisammensein | |
Samstag, 18.10 | 8:30 | Frühstück |
9:30 | Textlesung: „Antiope oder die Binität” | |
10:45 | Pause | |
11:00 | Gespräch zum Text | |
12:30 | Mittagessen | |
15:00 | Kaffeepause | |
15:30 | „Die Tochter” im historischen Kontext | |
18:30 | Abendessen | |
20:00 | Orgelsoirée | |
21:30 | Geselliges Beisammensein | |
Sonntag, 19.10 | 8:00 | Morgenandacht |
8:30 | Frühstück | |
9:30 | Rückblick – Plenumsgespräch | |
10:45 | Mitgliederversammlung | |
12:30 | Mittagessen | |
13:00 | Abreise |
Jürgen Müller
4.
Einladung zur ordentlichen Mitgliederversammlung
am 19. Oktober 2024, 10:45 Uhr Haus am Turm, Essen
TOP 1: Begrüßung der Mitglieder, Feststellung der Beschlussfähigkeit
und Festlegung der Protokollführung
TOP 2: Genehmigung des Protokolls der Mitgliederversammlung
vom 13. Oktober 2024 in Essen
TOP 3: Anträge zur Änderung/Erweiterung der Tagesordnung
TOP 4: Bericht und Ausblick des 1. Vorsitzenden mit Aussprache
TOP 5: Kassenbericht für die Geschäftsjahre 2024
TOP 6: Berichte der Kassenprüfer
TOP 7: Entlastung des Vorstands für die Geschäftsjahre 2024
TOP 8: Berichte von Respondeo, vom Eugen Rosenstock-Huessy Fund
und der Society und von Projekten einzelner Mitglieder
TOP 9: Wahl eines Wahlleiters/einer Wahlleiterin für die Neuwahl des Vorstands
TOP 10: Wahl des/der 1. Vorsitzenden
TOP 11: Wahl des/der stellvertretenden Vorsitzenden
TOP 12: Wahl des dritten geschäftsführenden Vorstandsmitglieds
TOP 13: Wahl zweier weiterer Vorstandsmitglieder
TOP 14: Verschiedenes
Jürgen Müller
5. Tagungsort und Anmeldung
Die Jahrestagung findet vom 17. bis 19. Oktober 2025 statt im
Haus am Turm, am Turm 7, 45239 Essen-Werden, Tel. 0201-404067.
Beginn ist am 17. Oktober 2025 um 18:30 Uhr mit dem Abendessen.
Kosten
Die Kosten betragen € 155 bei Unterbringung im Doppelzimmer, € 180 bei Unterbringung im Einzelzimmer, für Bettwäsche wird €9,50 berechnet oder 12,50 wenn das Bett schon bezogen sein soll. Die Anzahl der Einzelzimmer mit Bad/WC ist begrenzt. Interessenten, die die Tagungskosten nicht in voller Höhe aufbringen können, mögen sich bitte an Thomas Dreessen wenden.
Anmeldung
bitte an Thomas Dreessen.
Thomas Dreessen
6. 23. August
Im April 1939 veröffentlichte Carl Schmitt sein Buch: „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht” (Vierte, um ein Personenregister ergänzte Auflage der Ausgabe von 1941, Duncker & Humblot, Berlin) Es basiert auf einem am 1.April gehaltenen Vortrag und stellt ein Konzept vor, in dem die Welt nicht mehr als ein System gleichberechtigter Nationalstaaten besteht, sondern als von „Großräumen“ dominierte Ordnungen, in denen jeweils eine „raumkonstituierende Macht“ das politische Zentrum bildet. Für Europa war dies aus seiner Sicht das Deutsche Reich. Er nimmt dabei Bezug auf die Monroe-Doktrin, die 1823 von US-Präsident James Monroe formuliert wurde und die die westliche Hemisphäre zur Einflusssphäre der Vereinigten Staaten erklärte. Sie forderte, daß europäische Mächte sich nicht in Amerika einmischen, daß sie keine neue Kolonisierung betrieben und daß Amerika den Amerikanern gehört.
Am 23. August 1939 wurde dieses Konzept in die Praxis umgesetzt, indem Deutschland und die Sowjetunion einen Vertrag abschloßen, den „Deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt“, bekannt unter dem Namen „Hitler-Stalin-Pakt”. Beide Staaten sicherten sich gegenseitig zu, keine militärischen Angriffe gegeneinander zu unternehmen und, im Falle einer Verwicklung eines der Vertragspartner in einen Krieg, Neutralität zu wahren.
In einem geheimen Zusatzprotokoll wurde Polen in eine deutsche und eine sowjetische Interessenssphäre aufgeteilt, Estland, Lettland und Finnland sowie Bessarabien (heute Teil Moldawiens) wurden der sowjetischen Einflusssphäre zugeordnet, Litauen, das ursprünglich der deutschen Sphäre zugerechnet war, wurde später im Folgeabkommen der Sowjetunion zugesprochen. Dieses Zusatzprotokoll stellt die entscheidende geopolitische Bedeutung des Paktes dar. In den zwei Jahrzehnten zuvor hatte die Sowjetunion schon mit wichtigen Nachbarn im Westen und Süden (Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Deutschland, Türkei, Persien) Nichtangriffspakte geschloßen, Deutschland darüber hinaus mit Polen und Frankreich.
Am 1. September 1939 erklärte dann die deutsche Reichsregierung, daß sie zum Schutz deutscher Minderheiten in Danzig und dem Korridor militärisch aktiv werde. Friedliche Vermittlungsversuche hätte Polen durch Mobilmachungen und verstärktem Terror beantwortet. Die polnische Regierung fände sich in Abhängigkeit einer nunmehr entfesselten wilden Soldateska.
In seinem Gespräch mit Tucker Carlson schloß sich Vladimir Putin 2024 der damaligen Erklärung der deutschen Reichsregierung an, daß Polen durch Besetzung des Danziger Korridors Hitler und damit den Ausbruch des zweiten Weltkriegs provoziert hätten.1
Die Sowjetunion marschierte am 17. September 1939 in Ostpolen ein. Die anderen baltischen Staaten kamen unter den Einfluß der Sowjetunion, wobei das Memelland schon im März 1939 an Ostpreußen angeschloßen worden war. Im November 1939 begann die Sowjetunion einen Krieg mit Finnland um Gebietsforderungen in der Karelischen Landenge wegen unabdingbarer Sicherheitsinteressen für die Stadt Leningrad. Finnland verlor beim Friedensvertrag im März 1940 ein Teil seines Staatsgebietes.
Charles Lindbergh, Luftpionier, dem 1927 die erste Alleinüberquerung des Atlantik gelang, Träger des Großkreuzes des Deutschen Adlerordens und Sprecher des America First Commit tee, sagte 1940: „Kein Einfluss von außen könnte die Probleme der europäischen Völker lösen oder ihnen gar einen dauernden Frieden bringen. Sie (= die europäischen Völker) müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, so wie wir unseres in die Hand nehmen müssen.“ Und weiter: „Ich glaube, dass es für uns von äußerster Wichtigkeit ist, mit Europa zusammenzu- arbeiten. Nur durch Zusammenarbeit können wir die Überlegenheit unserer westlichen Zivi- lisation erhalten … Weder sie [die Europäer] noch wir sind stark genug, alleine die Erde ge- gen den Widerstand der anderen zu regieren. In der Vergangenheit hatten wir mit einem Eu- ropa zu tun, das von England und Frankreich dominiert wurde. In Zukunft haben wir mögli- cherweise mit einem Europa zu tun, das von Deutschland dominiert wird.“
Rosenstock-Huessy reagierte auf diesen Pakt mit einem unveröffentlicht-gebliebenen Essay: The Atlantic Revolution. „I call Atlantic Revolution that chapter of the World Revolution that was opened on May 10, 1940. The World Revolution had become virulent again with the German-Russian alliance. The curve of the Revolution is rather astoundingly parallel to the French. Only, and this is a condition for its understanding, the Revolution of our time exchanges the roles of war and of revolution properly speaking, in the sequence of events. The French Revolution begins with three years of revolution, plunges into 23 years of wars, and ends with a short revolutionary epilogue. Since 1914, the World Revolution begins with three years of the Great War, then starts the Russian chapter of the Revolution, then the Italian, finally the German in 1933, and in 1940, it returns to its origin, in the form of war.”
Gegen Lindbergh beschreibt Rosenstock-Huessy die Herausforderung: „Let us oppose these fallacies with our three tenets: We believe in man´s divinity, gullibility, convertibility, all three. What does this mean? It means that we have faith, love, and hope.
- Our faith says that man can accomplish the impossible, that he can shed his skin, burn his idols, die to his preferences and acquire new ones when he overcomes his worship of his own cleverness.
- Our love says that this New World is stronger in all of us than any political, economical, doctrinal habits to be frustrated by a mental Non possumus. We believe that the complete impotency of the educated classes in this country is not final because we love America, and believe that they love it, too.
- We do hope that inner passion may accomplish, in this Atlantic Revolution, what outward violence had to achieve elsewhere. Rejuvenation of thought, immigration into a new realm of thinking may take the place of the former frontier. Let everybody ask himself every evening: Into what unknown part of human life have I immigrated today?”
Der Hitler-Stalin-Pakt ist für die Länder Ostmitteleuropas der Beginn einer Zeit von Zwangsumsiedlungen und Repressionen, Millionen Menschen in den betroffenen Gebieten wurden deportiert, verfolgt oder ermordet – sowohl durch deutsche als auch sowjetische Besatzung und ihre gehorsamen Helfershelfer. Diese Zeit endete für sie erst 1990/91 mit dem Ende der Sowjetunion. Der Pakt ist bis heute ein Symbol für die Verratspolitik der Großmächte und die Leidensgeschichte der „Zwischenländer“ zwischen Berlin und Moskau.
Die baltischen Staaten wurden von vielen westlichen Ländern nicht als Teil der UdSSR anerkannt – insbesondere die USA und Kanada hielten an der Nichtanerkennung fest. 1991 wurden die baltischen Staaten Teil Vereinten Nationen, Ukraine und Belarus waren bereits Gründungsmitglieder und Finnland trat 1955 den VN bei.
Auf Drängen baltischer sowie anderer osteuropäischer Emigranten wurde seit Ende der 1980er Jahre am 23. August als Black-Ribbon-Day der Opfer der beiden durch Staatsterror und Massenmord geprägten Diktaturen gedacht. 2008 wurde der 23. August von Mitgliedern des Europäischen Parlaments als Gedenktag vorgeschlagen. In den baltischen Staaten ist der 23. August nationaler Feiertag, in Finnland, Rumänien und der Ukraine ein Gedenktag, in Westeuropa findet er wenig Resonanz. Durch das Gedenken an beide Diktaturen wird bei manchen Kritikern eine Gleichsetzung befürchtet: Die Einzigartigkeit des Holocaust werde geleugnet.
Die russische Perspektive hingegen ist anders. Für Rußland begann der zweite Weltkrieg mit dem Überfall Deutschland am 22. Juni 1941 auf die Sowjetunion. Der Sieg über Nazi-Deutschland ist ein neuer Gründungsmythos, der jährlich gefeiert wird. Der Zerfall der Sowjetunion dagegen eine Katastrophe. Putin äußerte sich dazu: „Zunächst einmal muss man anerkennen, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts war.”2 Andrey Gurkov erläutert: „Die Osterweiterung des westlichen Verteidigungsbundes wird von vielen in meiner Heimat doch gerade deshalb so verteufelt, weil sie in ihren Augen eine historische Ungerechtigkeit zementiert: Sie sehen sich um die territorialen Früchte des Sieges über Hitlerdeutschland gebracht. Denn meine Landsleute haben die osteuropäischen Gebiete bis zur Elbe, ganz in den Vorstellungen des 19. und früherer Jahrhunderte, immer als eine legitime Kriegsbeute betrachtet.”3 Memorial, die sich der Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft in der Sowjetunion verschrieben hatte und 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist inzwischen verboten und Stalin wird erneut als Sieger im großen vaterländischen Krieg verehrt.
Der Hitler-Stalin-Pakt bleibt ein einschneidendes Ereignis, insbesondere für die Staaten Ostmitteleuropas. Die Ausstellung: “Riss durch Europa” wollte dem Rechnung tragen (Riss durch Europa, Die Folgen des Hitler-Stalin Pakts, Perspektiven aus Ostmitteleuropa, Herausgegeben von Anke Hilbrenner, Christoph Meißner, Jörg Morré, Wallstein-Verlag, 2024).
Ein anderer Aspekt ist mir wichtig. Ein gegenseitiger Nichtangriffspakt scheint auf Frieden gerichtet zu sein, hatte allerdings auch eine strategische Rolle, daß sich der Partner nicht in Kriege des anderen einmischt. Zusammen mit dem geheimen Zusatzprotokoll stellt der Vertrag eine Zusammenarbeit auf Kosten Dritter, Might is right (Gewalt geht vor Recht), dar.
Bei den Dritten führt dies zu einem Vertrauensverlust, der erst mühsam wieder erarbeitet werden muß. Deutschland gelang dies nach dem zweiten Weltkrieg gegenüber seinen westlichen Partnern. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis deutscher Bischöfe spielte für neues Vertrauen, die Aufnahme in den Ökumenischen Rat der Kirchen und die politische Zusammenarbeit in Richtung Europa eine wichtige Rolle.
Auf russischer Seite ist vergleichbares für die baltischen Staten nicht geschehen. Die gemeinsame Zeit in der Sowjetunion wurde rückblickend nicht als Befriedungszeit erfahren. Ohne ein solches Vertrauen sind jedoch gute nachbarschaftliche Beziehungen nicht möglich.
Die Erinnerungstraditionen in Europa sind verschieden und stark von der Geschichte der jeweiligen Länder beeinflußt. Für Ostmitteleuropa läßt sich feststellen, daß der 23. August ein Gedenktag von großer Bedeutung ist.
Jürgen Müller
7. Adressenänderungen
Bitte senden sie eine eventuelle Adressenänderung schriftlich oder per E-mail an Thomas Dreessen (s. u.), er führt die Adressenliste. Alle Mitglieder und Korrespondenten, die diesen Brief mit gewöhnlicher Post bekommen, möchten wir bitten, uns soweit vorhanden, ihre Email-Adresse mitzuteilen.
Thomas Dreessen
8. Hinweis zum Postversand
Der Rundbrief der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft wird als Postsendung nur an Mitglieder verschickt. Nicht-Mitglieder erhalten den Rundbrief gegen Erstattung der Druck- und Versandkosten in Höhe von € 20 p.a. Der Versand per e-Mail bleibt unberührt.
Thomas Dreessen
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„As the Poles had not given the Danzig corridor to Germany, had went so far pushing Hitler to start World War II by attacking them. Why was it Poland against whom the war started on 1st September 1939? Poland turned out to be uncompromising and Hitler had nothing to do but start implementing his plans with Poland.” https://rev.com/transcripts/tucker-carlson-interviews-vladimir-putin-transcript ↩
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„Zunächst einmal muss man anerkennen, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts war. Für das russische Volk war es jedoch ein echtes Drama. Dutzende von Millionen unserer Mitbürger und Landsleute befanden sich außerhalb des russischen Staatsgebiets. Die Epidemie der Desintegration griff auch auf Russland selbst über.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Wladimirowitsch_Putin#cite_ref-kremlin-2005_99-0 ↩
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Andrey Gurkov: Für Russland ist Europa der Feind - Warum meine Heimat mit dem Westen gebrochen hat, 2025, p.100 ↩