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Mitteilungen 2023-12

Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft e.V.

„„Und dies geistliche Wachstum wird um so drin­gender, wenn täglich Hunderttausende durch die Wirtschafts-ord­nung um das natürliche Ersatzmittel für diese Mannwerdung ge­bracht werden. Die Arbeitsfrage, die Proletarisierung der Massen ist nämlich eine Frage vom Mündigwerden des christlichen Laien, weil die vom Thomismus empfohlene aus alten Wirtschaftsweisen stammende Zuweisung von Privateigentum heut versagt. Solange die Eheschließung auch Gründung einer eigenen Wirtschaft be­deutete, wurde der Mann dank der neuen Verantwortung in einem eigenen Wirkungskreis auf natürlichem Wege Mann und Meister. Heut ist das Wirtschaftsleben völlig abgetrennt vom Liebes- und Eheleben. Und der Proletarier kann nur durch geistliche Ge­meindebildung und geistige Kämpfe den gegenwärtigen Zustand wirtschaftlicher Unmündigkeit und Knabenhaftigkeit, eben sein Proletariertum seelisch überdauern. Eine Kirche, die den sonst nirgends zur Manneswürde zugelassenen Arbeiter selbst in der Kirche klerikal leitet, verkennt die Krankheit, an der er — und das ist heut die Mehrzahl des Volkes — durch die Abhängigkeit in sei­ner Arbeit leidet. Sie verkennt es, weil sonst der Erwachsene im Vollsinn selbst zur Kirchenobrigkeit gehören müßte. Und davor schrickt sie zurück. Was ist die Folge? Die Kirche wird unwirk­sam. Und wenn man die Laienmännerschaft dreißigmal im Mo­nat kommunizieren läßt und diese Praxis Laienapostolat betitelt, das Volk, auf das es ankommt, das Volkstum nämlich, das in jenen Laien steckt, wandert auf diese Weise nicht mit in die Kirche und wirkt sich nicht als Glied am Corpus Christi aus. In das Gottes­haus gehen die Männer. Aber dies Haus ist aus Stein. Die Statisti­ken erfassen eben nicht, was diese selben Männer im Volke wirk­lich arbeiten, reden, kämpfen, wirken und tun, inwiefern sie also selbst Gottes Haus als lebendige Bausteine bauen: Und nur dadurch würde ein Stück Laientum, ein Stück Volkskraft der Kirche, auf die es ankommt, der Seelenkirche, apostolischen Kirche, einge­gliedert. Das sogenannte Laienapostolat ist Knaben- oder Jüng­lingsübung. Es verhüllt nur die Gefahr, die heraufzieht, daß man die Leiber des Volks in die Kirchen bekommt, aber die Seelen nicht in die Kirche. Nur die Unwirksamkeit der Kirche — deren Lehren ich mich beuge — hat auch mich selber vor den Toren der Kirche halt machen und mein Gehör meinen Nächsten, Seinem Volk zuwenden lassen. Doch abgesehen von allem Persönlichen —: Gott ist ein Gott der Lebendigen, derer die ihn mit ihrem ganzen ungeteilten Vermögen lieben, nicht — Religio depopulata.” Eugen Rosenstock-Huessy, Das Alter der Kirche, 1926

Vorstand/board/bestuur: Dr. Jürgen Müller (Vorsitzender);
Thomas Dreessen; Sven Bergmann; Dr. Otto Kroesen
Antwortadresse: Jürgen Müller, Vermeerstraat 17, 5691 ED Son, Niederlande,
Tel: 0(031) 499 32 40 59

Mitteilungen Dezember 2023

Inhalt

  1. Einleitung - Jürgen Müller
  2. Ecclesia Depopulata reanimata - Sven Bergmann
  3. Das Johannesevangelium und das Gesetz der Technik - Otto Kroesen
  4. Freundschaft bewährt sich trotz alledem – NADESHDA - Thomas Dreessen
  5. Die „Vernunft“ der echten Revolution - Sven Bergmann
  6. Brasilienreportage - Claus Friese
  7. Brückenbauer in der Hölle der Politik - Thomas Dreessen
  8. Neue Freunde und alte Bekannte - Sven Bergmann
  9. Mitgliederversammlung in Marbach am Neckar - Sven Bergmann
  10. Vormerken der Jahrestagung 11.10. – 13.10.2024 - Jürgen Müller
  11. Adressenänderungen - Thomas Dreessen
  12. Hinweis zum Postversand - Thomas Dreessen


1. Einleitung

Liebe Mitglieder und Freunde,

im Oktober auf der Jahrestagung in Marbach bekamen wir einen Eindruck von der professionellen Betreuung des Nachlasses Eugen Rosenstock-Huessys im deutschen Literaturarchiv und konnten einen Blick hinter die Kulissen des neuen Standorts werfen. Die Dreiteilung des Betheler Bestandes ist schmerzhaft, verspricht allerdings auch die Möglichkeit neuer Fruchtbarbarkeit an den neuen Orten. Der Vorstand erhielt unverändert das Mandat für 2 weitere Jahre. Die Relevanz Rosenstock-Huessys deutlich zu machen wird erneut der Fokus unserer Arbeit sein.

Jürgen Müller

2. Ecclesia Depopulata reanimata

Die Ankündigung vom „Ende” der Amtskirche vor 100 Jahren

Die Kirche war schon immer am Ende. Der Tod geht dem Leben voraus und Eschatologie als die Lehre von den letzten Dingen ist die christliche Botschaft über 2000 Jahre. Jesus war kein Olympier, sondern ist als Lamm Gottes den Kreuzestod gestorben. Das paßt weniger denn je in eine Zeit, in der die Dinge des Tages geleckt, gelackt, gefönt, gepudert, gegeelt, gestrafft gepolstert sprich optimiert erscheinen. Der richtige Filter biegt das krummste Holz zurecht. Aber kann ein oberflächenversiegeltes Teflon-Christentum funktionieren? Funktionieren vielleicht, aber sicher nicht wirken. Friedrich Nietzsche hatte diese Stellungnahme zur geistigen Situation der Zeit schon vor mehr als hundert Jahren mit dem Bann belegt, der letzte Mensch blinzele, denn er sei zum bloßen Abklatsch seiner Äußerlichkeiten verkommen. Mit dem Anpassungsdruck der sozialen Kontroll- und Überwachungsmedien könnte man von einer notorischen Dauergrinsmaskenkultur sprechen. Und natürlich ist das eine zutiefst deutsch-idealistische Sicht auf Mensch und Welt. Aber man sollte sich auch nicht täuschen lassen, schließlich vertiefte Max Weber Nietzsches Apercu auf die Alternative Europas zwischen russischer Knute und angelsächsischer Konvention und man könnte seit 30 Jahren hinzufügen: auch zwischen chinesischer Harmonie und arabischer Dekadenz. Es muß wohl doch angeführt werden, daß „Konvention“ just jene Arrangierung mit den Dingen und der Anpassung an Zeitgeist meint, den Verzicht auf Empörung, den Verzicht auf emotionales Übersprudeln. Alles hat irgendwie die gleiche Berechtigung und wieso soll man sich aufregen. Das eine könne ebenso das Rechte sein, wie das andere, Relativismus die Zukunft.

Es scheint, daß die Amtskirche, wie sie sich der Zweckkommunikation, Eventkultur, Marketing und PR anbiedert, nicht einmal verstanden hat, wie sehr sie gerade sie in ihrer „Modernität“ in die Irre geht. Wenigstens Protestanten sollten Luthers feine Unterscheidung zwischen „opus operatum“ und „opus operantis“ verstehen können. 1 Gemachtes Werk oder Werk des Handelnden? Aber wer die großen kirchlichen Etappen der letzten Jahrzehnte Revue passieren läßt, kann seinen Zweifel kaum verhehlen.

Nur wenn die Scheinheiligkeiten triumphieren sprießen Formulierungen wie „Der Islam gehört zu Deutschland“ (Der PR beraten und verkaufte Ex-Bundespräsident Wulff) oder „Demokratie braucht Religion“ (Hartmut Rosa). Natürlich „gehören“ weder der Protestantismus noch der Katholizismus oder das Judentum zu Deutschland und allein damit entlarvt sich schon alles weitere als bloße Scharlatanerie. Und das eine zweckrationale Religion keine gläubige Religion sein kann, dürfte sich auch schlichteren Gemütern erschließen. Die beiden deutschen Agenda-Christen, Wolfgang Huber und Joachim Gauck, jubelten dem schröderschen Ausverkauf der deutschen Wirtschaft ins Ausland zu (Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne). Wen wundert es da, daß der Buß- und Bettag als einziger gesetzlicher evangelischer Feiertag auf dem Altar des Marktradikalismus geopfert wurde und die Berater von McKinsey der siechen Amtskirche auf die Sprünge helfen sollten. Hauptsache man ist „in dieser Welt“ gut vernetzt in Hauptstadtkreise. Dann steht am Ende auch der Wiederauferstehung der Potsdamer Garnisonskirche nichts im Weg.

Der Festkalender des Reformationsjubiläums 2017 jedenfalls war eine fein getaktete Marketing-Offenbarung, für die Agenturen ihr Bestes gaben und Millionen Staatsknete nahmen, vom Event bis zum Hochglanzmagazin. Die ganze Veranstaltung war ja die Strafarbeit für die weltlichen Verfehlungen von Margot Käßmann. Stand viel Luther drauf, war aber wenig Gnade drin. „Gemachtes Werk“ statt „Werk des Handelnden“. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Karrierestamm. Und diesen Glaubwürdigkeitsverlust, diesen Schein ohne Sein, riechen und merken die einfachen Gläubigen oder die noch nicht Gläubigen meilenweit.

In postkonfessionellen Zeiten

Wie weit es die Kirchen inzwischen gebracht haben, dokumentiert die evangelische Kirche seit einigen Jahren in der „Kirchenmitgliederuntersuchung“. Die neueste sozialwissenschaftliche Studie im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und unter Beteiligung der katholischen Bischofskonferenz liefert 2023 ein Stimmungsbild wie es drastischer nicht ausfallen könnte. Die FAZ sprach von einem „historischen Kipppunkt“ für die christlichen Kirchen in Deutschland. Rein statistisch betrachtet bildet die Anzahl der Konfessionslosen mit 43 Prozent inzwischen die größte Bevölkerungsgruppen in Deutschland und hat fast gleichgezogen mit Katholiken (25 Prozent) und Protestanten (23 Prozent) zusammen. Und von diesen Gläubigen geben gerade einmal 15 Prozent an, täglich zu beten. Ein weiteres interessantes Detail der Studie besagt, daß sich die beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland nahezu vollständig aneinander angenähert haben. Im Blickwinkel der großen Mehrheit der Kirchenmitglieder ist die Ökumene längst Wirklichkeit, gerade in den Einstellungen zum christlichen Miteinander. Hier geht der Bruch eher zwischen Hierarchie und Kirchenvolk als durch die Konfessionen. Im Fazit hält die Studie fest, daß Deutschland in eine postkonfessionelle Ära eingetreten sei. Dabei sagt die äußere Konfessionszugehörigkeit natürlich nichts über den unsichtbaren Glauben, wie schon der Staatsrechtslehrer Rudolph Sohm immer wieder betont hatte. Natürlich kann man auch ohne Kirche christlich handeln, vielleicht sollte man vor allem auch ohne kirchliche Ausrichtung christlich handeln. Es scheint allerdings fraglich, wie eine Erziehung zum christlichen Handeln ohne eine mindestens elementare institutionelle Verankerung gelingen kann.

Warum überhaupt hat das Christentum vor 2000 Jahren triumphiert? Als „Theorie“, als „Theologie“, oder weil die Christen ihren Glauben durch Taten und durch den Einsatz ihres Lebens beglaubigt haben, „auf Schlangen und Skorpionen“? Wann waren Deutsche bewundert in der Welt zwischen 1517 und 1914. Warum waren sie da Vorbild und Maßstab für Kindergärten, Schulen, Bildung, Wissenschaft? Das war die Zeit als Deutsche und Juden sich nahe waren, als die deutschen Protestanten Reuchlin, Melanchthon und Luther das alte Testament studiert haben. Das war eine harte Lehre, gerade im Konfirmationsunterricht. Was machen wir heute? Religionsmarketing? Bunte Bildchen? Scheinwerfer? Bibel in einfacher Sprache? Alle haben recht und alles ist gut?

Denn wo das Exempel nicht mehr würde vorgehalten, würde die Gemeinschaft auch bald vergessen, wie wir jetzt leider sehen, daß viele Messen gehalten werden und doch die christliche Gemeinschaft, die da sollte gepredigt, geübt und in Christi Exempel vorgehalten werden, ganz untergeht, so sehr, daß wir fast nicht mehr wissen, wozu dies Sakrament diene und wie man sein brauchen solle, ja leider durch die Messen vielmals die Gemeinschaft zerstören und alles verkehren. 2

Kommt diese säkulare Entwicklung aus heiterem Himmel oder war diese Entwicklung absehbar?

Religio Depopulata 1923 reloaded

Die Diagnose der „religio depopulata“ wurde bereits vor fast genau einhundert Jahren gestellt. Gerade im Freundeskreis von Eugen Rosenstock-Huessy, Ernst Michel, Joseph Wittig oder Robert Grosche bestand nicht des geringste Zweifel darüber, daß das Zeitalter der Amtshierarchie auslaufe und zugunsten eines erneuerten Laienpriestertums zurücktreten müsse. Und schon Rudolph Sohm hatte mit seinem berühmten Fanfarenstoß die Stoßrichtung benannt: Das Kirchenrecht steht im Widerspruch mit dem Wesen der Kirche. Und so waren es vor allem die Kritiker der Amtskirche, der Patmos-Kreis, der Kreis um die Kreatur oder die Rhein-Mainische Volkszeitung oder der Volksbund für das katholische Deutschland am Niederrhein, die mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg hielten. Nur wenig beeindruckt hielt die Amtskirche ihr Gnadenbrot fest in der Hand.

1923 gab der politisch engagierte katholische Laie Ernst Michel, ein Kollege von Eugen Rosenstock an der Akademie der Arbeit in Frankfurt, den überkonfessionellen Sammelband „Kirche und Wirklichkeit. Ein katholisches Zeitbuch“ im Eugen Diederichs Verlag heraus. Mit von der Partie waren Joseph Wittig, Robert Grosche, Romano Guardini, Albert Mirgeler sowie Eugen Rosenstock mit zwei Aufsätzen. Ein kurzer Blick in den Aufsatz von Joseph Wittig, „Das allgemeine Priestertum“ bestätigt die alte Lebensweisheit: Wissen schützt vor Neuentdeckungen. Fast keine der aktuell diskutierten Fragen eines Laienpriestertums in der katholischen Kirche wurde damals ausgespart (in: Kirche und Wirklichkeit. Ein katholisches Zeitbuch, hrg.v. Ernst Michel, Jena: Eugen Diederichs Verlag 1923, S.21-43). Und die anderen Beiträge sind nicht weniger erhellend.

Einige Jahre später spitzte sich der Konflikt zwischen Hierarchie und Volkskirche weiter zu. Im Berliner Verlag Lambert Schneider erschienen zunächst Eugen Rosenstocks Kampfschrift „Religio depopulata“ und schließlich von 1926 bis 1928 als Gemeinschaftswerk mit Joseph Wittig „Das Alter der Kirche“, das neben Beiträgen zur Kirchengeschichte im dritten Band „Akten und Gutachten“ zum Verfahren gegen den Volkschristen dokumentierte.[^6} „Religio depopulata“ sprach vom „Erschöpfungszustand“ der Papstkirche, von einer „Kirche ohne Volk“.3 Kaum erkannt wurde, daß der Autor hier an die Kriegsschrift von Léon Bloy, „Jeanne d’Arc und Deutschland“ von 1915 anknüpfte und damit die Anklage gegen den Breslauer Bischof metaphorisch auf die Spitze trieb. Bloy hatte als „Religio depopulata“ die „kriminelle Taubheit“ des Erzbischofs von Reims und den „unerbittlichen Ungehorsam dieses Hohepriesters“ charakterisiert. 4 Implizit rückte Eugen Rosenstock Wittigs Schaffen in Parallele zur Volksnähe Jeanne d’Arcs. In welche Nähe Eugen Rosenstock schon bald geraten sollte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Viel später teilte er seinem engsten Freund und Kollegen in Breslau, dem Historiker Peter Rassow, mit, daß er sich nicht hätte vorstellen können, in die gleiche Lage wie Wittig zu geraten.5

Ein Jahrhundert später scheinen sich die ehedem formulierten Kritikpunkte als die wirklichen Zeitansagen zu bewahrheiten. Ob Bewegungen wie die Kirche vor Ort, Maria 2.0, Proteste gegen die Amtskirche und die persönlichen Verfehlungen der Priesterschaft im kollektiven Beschweigen sowohl nach weltlichen wie christlichen Maßstäben kriminellen Handlungen sind allgegenwärtig und man gewinnt den Einruck, daß sich inzwischen auch die letzten Bischofs-Bataillone in eine feste Burg zurückzuziehen wünschen, weiter geschützt durch das Mantra rechtsverbindlicher Statute, Abkommen, Konkordate und Paragraphen. Daß diese Strategie nicht funktionieren kann, belegt die Masse der Kirchenaustritte in Deutschland, unabhängig von der Konfession.

Zu dem Befund der Kirchenmitgliederuntersuchung gesellte sich wenige Wochen später ein weiteres Indiz. Nach einer medialen Schlammschlacht über den Rücktritt der amtierenden EKD Ratsvorsitzenden Annette Kurschus kommentierte der ehemalige Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts, Michael Bertrams, die Entscheidung als Vertrauensentzug von „erschreckender Lieblosigkeit und Kälte“ und trat von seinem Ehrenamt als Mitglied der Kirchenleitung zurück.

Ironisch könnte man sagen, die Kirche müsse sich „professionalisieren“ und aktiver in „sozialen“ Netzwerken kommunizieren! „Kommunikation“ gilt als Schlüssel für Reichweite und Relevanz, inzwischen auch in den Führungsetagen der christlichen Kirchen, die den hohlen Marketingjargon nachblöken. Nur mit dem Schlüssel zum christlichen Glauben hat dieses zweckrationale Handeln nicht das geringste zu schaffen. Wie wäre es wieder mit McKinsey und technischen Innovationen: Man könnte an der Himmelspforte eine Lichtschranke einbauen. Warum auf Petrus vertrauen, wenn man seine Schäfchen schwarz auf weiß zählen kann. Endlich lassen sich caritative Leistungen messen, evaluieren und reporten. Sola fide just in time. So gnade uns Gott!

Sven Bergmann

3. Das Johannesevangelium und das Gesetz der Technik

Als ob wir nicht schon genug vom Krieg in der Ukraine hätten, bricht auch der Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt, oder, mehr beschränkt, den Palästinensern, der Hamas, wieder aus. Nun, zu diesem Wort “genug haben” muss ich gleich anmerken, dass es noch einige versteckte Konflikte gibt, wie im Jemen, im Kongo, im Sudan und mehr. Zusammen prägen sie die Situation, in der wir uns befinden. Anstatt Partei zu ergreifen und die Ungerechtigkeiten der einen mit denen der anderen quantitativ oder qualitativ zu vergleichen, möchte ich hier den Versuch unternehmen, die Hintergründe zu verstehen und Auswege zu finden. Bob O’Brien, ein amerikanischer Student von Rosenstock-Huessy, der eine Zeit lang im Rosenstock-Huessy-Haus in Haarlem wohnte, sprach mich einmal auf meine Verantwortung an. Er drückte mir seinen Zeigefinger auf die Brust und fragte: “What is the predicament we are in?” („In welcher misslichen Lage stecken wir?”) Er setzte sich für die Einrichtung von so genannten “planetarischen Posten” ein, Zentren, von denen aus junge Menschen an der Vorbereitung einer neuen Welt arbeiten und die Ruinen der Vergangenheit beseitigen und ausheilen könnten. Er hoffte, dass das Rosenstock-Huessy-Haus in Haarlem ein solcher “planetarischer Posten” werden würde. Wenn wir die zyklische Gegenwart hinter uns lassen wollen, ist die Frage legitim: “What is the predicament we are in?”

Rasit Bal, der sich für die Professionalisierung der Imame in den Niederlanden einsetzt, schrieb am 3. November 2023 einen kurzen Artikel in der Tageszeitung Trouw über den Konflikt zwischen Israel und der Hamas 1. Ein paar Sätze helfen uns auch vor diesem Hintergrund. Der Titel des Artikels lautet “Die Zweistaatenlösung ist keine Lösung, weil die Palästinenser keinen Staat wollen”. Er schreibt: “Die moderne Staatsbildung, wie wir sie in Europa kennen, ist in der islamischen Welt tatsächlich noch in der Entwicklung. Außerdem gibt es große Unterschiede. In Gebieten, in denen Araber die Mehrheit bilden, ist die Stammesbindung oft noch dominant.” Und: “Die palästinensischen Araber wollen einfach in Sicherheit leben, als gleichberechtigte Stämme. Die große Mehrheit fühlt sich nicht mit der Hamas und der palästinensischen Autonomiebehörde verbunden. Daher ist es auch sehr fraglich, ob die Zweistaatenlösung ihre Lösung sein kann. Sie knüpft in keiner Weise an ihre historischen Erfahrungen an”. Es kommt nicht sehr oft vor, dass in der öffentlichen Debatte auf den Stammescharakter hingewiesen wird, der die arabischen Gesellschaften immer noch weitgehend prägt. Die Staatsbildung befindet sich noch in der “Entwicklung”, wie er sagt. Damit deutet er implizit an, dass sie sich in diese Richtung bewegen sollte, aber zur gleichem Zeit leugnet er dies wieder, wenn er die Zweistaatenlösung für Israel und Palästina nicht akzeptiert. Kurzum, es gibt etwas gegen seine Position einzuwenden. Mir geht es aber nicht darum. Es geht mir auch nicht darum, die arabischen Gesellschaften stammesorientiert und damit rückständig zu erklären. Damit wird die Komplexität des traditionellen Stammeslebens unterschätzt, und mehr noch: Die Moderne drängt sich auch diesen Gesellschaften auf. Das Problem der arabischen Gesellschaften, wie auch der afrikanischen, besteht genau darin, dass sie Teil von zwei Welten sind 6. Das eine Bein steht in der Moderne, was immer das genau bedeutet. Das andere steht immer noch fest in den alten Traditionen, die sich aus Clan und Stamm ableiten. Das macht die Situation verwirrend, oft auch für sie selbst.

Rasit schreibt weiter: “Für die palästinensischen Araber ist die nationale Bindung eine noch seltsamere Angelegenheit. Sie haben ihr Leben jahrhundertelang ohne einen Staat gelebt. Dafür gab es weder einen Bedarf noch eine Notwendigkeit. Sie lebten in Frieden und Ruhe neben palästinensischen Christen und Juden. Sie hatten ihre Familien, ihre Stämme, ihr Land, ihr Wasser und ihre Olivenbäumen. Ihr soziales und wirtschaftliches Leben war vollständig in dieses Umfeld eingebettet. Für sie war es wichtig, dass sie ihr eigenes Leben führen konnten: Wer in der Region regierte, interessierte sie nicht. Außerdem waren alle besser dran, wenn es eben keinen Staat gab. Politische Aufmerksamkeit hat in der Region immer zu Konflikten und Kriegen geführt.”

Wer das liest, denkt: Wenn nur alles so wäre wie früher. Aber so kann es nicht mehr sein. Ja, wenn man einen eigenen Hof hat und die zentrale Verwaltung weit weg ist, dann ist es einem egal, wer einen regiert, solange die Steuern nicht zu hoch sind. Aber in unserer Zeit ist die Wirtschaft nicht mehr lokal organisiert. Die zentrale Verwaltung ist in greifbare Nähe gerückt, und das Leben wird nun unmittelbar von ihr beeinflusst. Was ist die Ursache dafür? Es ist die Technologie, die den Raum schrumpfen lässt, denn die Regierungspolitik und die Weltmarktpreise wirken sich unmittelbar aus. Waren werden über große Entfernungen transportiert, und zwar nicht nur weg vom Dorf mit seinen Olivenbäumen, sondern auch dorthin. Dieselbe Technologie macht das Leben schneller: Man hat ein Handy, Internet und ein Auto. Das hat zur Folge, dass die alten Lebensmuster unter großem Druck stehen. Die jungen Leute wollen in die Stadt ziehen. Sie wollen nicht mehr im kleinen Rahmen leben. Sie wollen sich entfalten und ihr eigenes Leben führen, aber jetzt stoßen sie an die Decke des nahen zentralstaatlichen Machtapparats mit seiner Hierarchie, Klientelismus und Kontrolle. Das in sich geschlossene Leben und der langsame Rhythmus des kleinen Dorfes fallen einerseits der Nostalgie mit der Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit und andererseits den großen Träumen von einer unerreichbaren Zukunft zum Opfer.

Rosenstock-Huessy hätte meiner Meinung nach noch einen vierten Punkt hinzufügen können: Das Gesetz der Technik macht die traditionellen hierarchischen Regierungen noch autokratischer. Jemand hat einmal sehr schön bemerkt: Als der Papst für unfehlbar erklärt wurde, hatte niemand bedacht, dass er auch ein Telefon bekommen würde. Ohne Telefon, Internet und einige andere technische Mittel hat ein unfehlbarer Papst viel weniger Einfluss, als seine Unfehlbarkeit an sich vermuten ließe. Aber so ist es auch mit Regierungen. Afrikanische Präsidenten und Generäle neigen manchmal immer noch dazu, wie die Häuptlinge von einst zu regieren, autoritär und paternalistisch. Aber die Häuptlinge von einst hatten nicht die technischen Mittel, um alle zu kontrollieren 2. Sie konnten nicht einmal die Einziehung der Steuern überall in ihrem Gebiet regeln. Sie konnten nicht verhindern, dass sie von den Stammesältesten mit Hilfe ihrer junge Männer aus dem Amt gejagt wurden, wenn sie nicht nur paternalistisch (das war immer so), sondern auch autokratisch (Solisten, die nicht auf den Ältestenrat hören) wurden. Jetzt haben sie eine Armee zur Verfügung und sind mit allen technischen Mitteln ausgestattet. Die checks and balances der alten Ordnung sind nicht mehr vorhanden, und die neuen checks and balances sind noch nicht völlig funktionsfähig. Das macht die Situation unübersichtlich. Die Menschen wissen nicht mehr, an welche Moral sie sich eigentlich halten sollen.

Rosenstock-Huessy und seine Anhänger erwarteten und hofften, dass die Interaktion zwischen sozialen Akteuren durch die grammatikalische oder dialogische Methode die Lösung für Entwurzelung und Verwirrung sein würde. 7 Durch das Gespräch, den Austausch von Gesichtspunkte, das Aufeinanderzugehen und Miteinanderarbeiten könnten gegenseitige Verantwortung, Unterstützung und Visionen in der Gesellschaft wachsen. Eine globale Gesellschaft ohne Zentrum würde entstehen. Ohne Zentrum, weil es keine Instanz gibt, die stark genug ist, um allein den Kurs zu bestimmen. Nicht, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und Staaten verschwinden würden. Aber auch hier würden Interaktion, Austausch und Gespräche den Weg zum gemeinsamen Handeln weisen, indem sie Unterstützung dafür schaffen. Das klingt vielversprechend. Aber hat nicht dasselbe Gesetz der Technik durch die Stärkung gerade autokratischer Regime diese Hoffnung und Erwartung grundlegend konterkariert? Rosenstock-Huessy und seine Zeit haben die Gründung der Sowjetunion zur Zeit der russischen Revolution miterlebt. Die Steuerung der Gesellschaft durch technische Organisation und zentrale Planung war, so Rosenstock-Huessy selbst, das zentrale Merkmal der Russischen Revolution 8. Aber konnte er vorhersehen, wie diese zentralistische Politik die Welt erobern würde? Zweifellos war der sowjetische Sozialismus für die arabischen Länder (insbesondere für die Baath-Parteien in den arabischen Ländern) ebenso attraktiv wie für die afrikanischen Länder und Lateinamerika und natürlich auch für China, unter anderem als Mittel zur zentralen Kontrolle. Das gilt für Nyereres gut gemeinten Paternalismus in Tansania ebenso wie für Mugabes tyrannisches Regime in Simbabwe. In der Tat gab es in diesen Ländern nichts zwischen dem zentralen Machtzentrum und der unteren Ebene der Clans und Familien: Es gab keine oder kaum Organisationen. Das lässt dem Zentralstaat keine andere Möglichkeit, als die Gesellschaft und die Wirtschaft direkt zu lenken. Clan, Stamm und Familie erscheinen dann nur noch als Hemmschuh. Jede andere Form der Selbstorganisation der Gesellschaft war oder ist (manchmal immer noch) nicht vorhanden.

In den 1920er Jahren formulierte Rosenstock-Huessy seine Erwartungen an die Gesellschaft als Alternative zu Staat und Kirche. Nach der Herrschaft der Kirche in den ersten 1000 Jahren unserer Zeitrechnung und nach der Herrschaft des Staates in den zweiten 1000 Jahren würde die Gesellschaft, d.h. das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte und Mächte und Personen in ihrem dreigliedrigen Zusammenspiel, in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung die Geschichte bestimmen 9. Keine zentrale Regierung könnte von einem Punkt aus Kontrolle ausüben. Nun haben freilich die Menschen im Westen durch eine Kette von Revolutionen bereits gelernt, in allen möglichen Rechts- und Organisationsformen unabhängig von Kirche und Staat, auch in großem Maßstab und in großen Gebieten, untereinander Kontrolle auszuüben und zu kooperieren. Im Laufe der Geschichte sind zu nennen: die Kirche selbst (damals noch von unten organisiert in Opposition zur kaiserlichen Macht des Römischen Reiches), Mönchsorden, Zünfte und Städte, souveräne Staaten, unabhängige Richter, Gewerkschaften, Vereine, Stiftungen, politische Parteien, öffentliche Meinung mit freier Presse, Parlamenten, und so weiter und so fort. Durch jahrelange Einübung hat sich so etwas wie anonymes Vertrauen etabliert: Man geht davon aus, dass der andere einen nicht betrügt (z. B. mit minderwertigen Produkten), bis das Gegenteil bewiesen ist. Das funktioniert ungeheuer dynamisch. Wo das trotzdem schief geht, kann man sich auf die Rechtsgleichheit und damit auf den Rechtsstaat verlassen. Die Konsequenz dieses Zusammenspiels unzähliger Akteure ist, dass niemand mehr nach festen Traditionen in einem geschlossenen Dorf lebt. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in weiten Bereichen wird zur Realität. Diese offene Interaktion war selbst eine Voraussetzung für die Entwicklung der Technologie 3. Alles ist in Bewegung, und die Menschen lernen und müssen lernen, ständig neue Verbindungen herzustellen. Dies wiederum führt zu technischen Innovationen, die wiederum die Gesellschaft neu beleben. Das Tempo hat sich im 19. und noch mehr im 20. Jahrhundert derart beschleunigt, dass sich in unserer Zeit die Zusammensetzung des Netzwerks von Kollegen und Freunden etwa alle 15 Jahre komplett verändert hat und sich Familienmitglieder oft fremd werden.

Angesichts dieser Situation präsentierte Rosenstock-Huessy seine Lehren von Sprache und Geschichte als Lösung und Ausweg. Wenn das Dorf eine zu kleine Geschichte bietet, wird die große Geschichte der menschlichen Species zu einer neuen Quelle der Inspiration. Wenn man seinen Horizont im Raum erweitert, soll man auch nach breiteren und tieferen historischen Horizonten und Wurzeln suchen. Wenn sich die Zusammensetzung von Kollegen und Freunden von Jahr zu Jahr ändert, macht intensivere Sprache auch kurzfristige Kontakte intensiv und bedeutungsvoll, so dass die Menschen füreinander bürgen, wenn auch nur vorübergehend 4. Die grammatikalische Methode von Rosenstock-Huessy oder die dialogische Methode von Buber, wie auch immer sie genannt werden, sollte Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund auch in kurzfristigen Verbindungen Halt geben, indem das Gespräch intensiver gestaltet wird 5. Tragfähigkeit bedeutet: sich gegenseitig in Verantwortlichkeiten zu unterstützen, damit sie gemeinsam werden und in die Realität umgesetzt, institutionalisiert werden können. Dies würde (sollte) zu einer Intensivierung der Zivilität und Kommunalität führen, die einst in die italienischen Städten begann.

Wir leben 100 Jahre später. Hat nicht die unvorhergesehene von mir vorgeschlagenen vierte Komponente des Gesetzes der Technik diese von Rosenstock-Huessy und seinen Anhängern erwartete Entwicklung widerlegt? Durch die technischen Möglichkeiten des Verkehrs, der Computer, des Internets und jetzt der KI hat der Zentralstaat seine alte Machtposition gestärkt, und wo nicht der Zentralstaat diese Funktion wahrnimmt, sind es die großen Technologiekonzerne, die auf ihre Weise Markt und Gesellschaft zu einer Totalität organisieren. Eine autoritäre Befehlsstruktur in den östlichen Ländern und ein instrumenteller Managementansatz in den liberalen Demokratien führen in dieser Hinsicht zum gleichen Ergebnis: Die Menschen lernen nicht miteinander zu sprechen oder nicht genügend, um durch eingeübte Verantwortung Unterstützung für gemeinsames Handeln aufzubauen. Die Länder des Südens, insbesondere in Afrika, leiden oft unter beiden Ansätzen, abwechselnd oder gleichzeitig.

Erweist sich die grammatikalische Methode von Rosenstock-Huessy und die damit gegebene Intensivierung der Sprache also als überholt? Oder ist es vielmehr so, dass die Zeit dafür erst jetzt reif wird? Letzteres ist eine reale Möglichkeit. Denn merken wir nicht in so gut wie jeder Krise, die sich abzeichnet, das Ende der Möglichkeiten autokratischer Befehlsstruktur und liberaler Instrumentalisierung? Es war Ulrich Beck, der in seinem Buch Risikogesellschaft in den 1980er Jahren darauf hinwies, dass immer mehr Krisen entstehen, während die Institutionen, die gemeinschaftliches Handeln unterstützen sollten, zunehmend erodieren 10. Wer ist noch Mitglied einer Gewerkschaft, einer politischen Partei oder einer Kirche? Gibt es noch eine informierte und verantwortungsbewusste Mehrheit der Bürger?

Entwurzelung bedeutet: ohne Vergangenheit leben. Instrumentalisierung bedeutet: wie ein Rädchen in der Maschine zu arbeiten und so kurz gehalten zu werden und/oder sich klein zu machen 11. Wenn Entwurzelung und Instrumentalisierung der gemeinsame Nenner sind, mit dem sich junge Menschen (und ältere Menschen meist gleichermaßen) in Ost, West und Süd konfrontiert sehen, dann wird Rosenstock-Huessys grammatikalische Methode erst in unsere Zeit ihr volles Gewicht bekommen. Wenn sein Werk nicht wiederentdeckt wird, wird es sicher neu erfunden werden.

Sind Entwurzelung und Instrumentalisierung lediglich soziologische Probleme? Werden die religiösen Traditionen in der soziologischen Arbeit von Rosenstock-Huessy nur mitgeschleppt? Ist die religiöse Komponente in seinem Werk zeitgebunden, vergangen und gesellschaftlich irrelevant für uns? - Erst in jüngster Zeit ist mir bei der erneuten Lektüre von Ehrenbergs Buch “Heimkehr des Ketzers” und dem, was Rosenstock-Huessy und Andere in der Korrespondenz “Not Chosen” darüber schreiben, klarer geworden, was diese religiöse Komponente in ihrer Arbeit bedeutet. Sie ist verwandt mit dem, was sie unter Ketzern und der Ketzerkirche verstanden 12. Im Netzwerk der Gesellschaft sollte die Ketzerkirche führend und richtungsweisend sein - so formulierten sie es mehrfach in ihren Briefen und Büchern. Bisher hatte ich das so verstanden, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein verschiedene Traditionen einander bekämpften und so unabhängig voneinander weiterwuchsen. Verschiedene Gruppen gehen ihren eigenen Weg. Dann, ab dem 20. Jahrhundert, würde die Zeit kommen, in der sich diese verschiedenen Gruppen und Traditionen wieder annähern würden: Ihre Ohren würden sich füreinander öffnen und sie würden lernen, dass sie sich gegenseitig korrigierten und ergänzten und dass sie eigentlich alle auf ein tieferes Verständnis des Antlitzes Gottes hinarbeiteten, das die Menschen anruft. Das ist nicht unwahr, aber jetzt begann der Punkt, den ich soeben meinte, besser durch zu dringen. Wer bis ins 20. Jahrhundert hinein revolutionär sein wollte, musste sich von der Tradition abwenden und etwas Neues beginnen, den Protestantismus oder die Aufklärungsphilosophie und Liberalismus oder Sozialismus und so weiter. Diejenigen, die das taten, und die Gruppen, die das taten, hatten also endlich selber etwas zu sagen, d.h. Ich sagen: ich leiste meinen besonderen Beitrag zur Gesellschaft. Ich sagen, heißt oft: Aber ich! Ich mache die Dinge anders! Ich sagen heißt, einen innovativen Weg zu gehen und mit der bestehenden Gruppe und Tradition zu brechen. Von nun an wird es anders sein. Bei der Heimkehr des Ketzers läuft der Ketzer nicht mehr mit einem Teil der Wahrheit voraus, im Gegenteil 13. Wer jetzt etwas zu sagen haben will, muss sich in die Traditionen und die Geschichte vor seiner Zeit vertieft haben! Das Eintauchen in die Tradition bewirkt eine Vertiefung des Selbst, des Ichs, von mir, natürlich nicht des “Ichs”. Ich werde dadurch mehr ich, innerlich vertieft. Nur dadurch habe ich jetzt etwas zu sagen und kann die revolutionäre zukunftsverändernde Funktion erfüllen, die bisher nur durch einen Bruch mit der Tradition zustande kommen konnte. Das ist es, was mit der Ketzerkirche gemeint ist: Wer vorwärts läuft, muss jetzt aus der Vergangenheit schöpfen. Sonst gelingt dieses Vorwärtslaufen nicht. Es wird zur Wiederholung, zum Stehenbleiben und Drehen im Kreis. Diese Vertiefung schmälert nicht die Ausdruckskraft des Ichs, sondern ermöglicht sie, ermöglicht die Ausdruckskraft des Ichs, das ich bin. Nur wer richtig zugehört hat, hat auch etwas zu sagen.

Ehrenberg und Rosenstock-Huessy haben dieses Ereignis auch als das johanneische Zeitalter bezeichnet. Es ist das johanneische Zeitalter, das diese Vertiefung des Selbst verwirklicht, indem es mich als das Ich, das ich bin, in die Sprache einbezieht, die mich bestimmt. In den ersten 1000 Jahren der christlichen Ära stehen die Evangelien im Mittelpunkt. In den zweiten 1000 Jahren gewinnen die Briefe des Paulus ein nie dagewesenes Gewicht. Seit unserer Zeitrechnung erwirbt sich Johannes eine Zuhörerschaft, und zwar nicht nur, weil er noch nicht an der Reihe war. Es ist die besondere Stellung, die er im Chor der Stimmen der Bibel einnimmt.

Johannes macht das Kreuz zu einem allgemeinen Gesetz, und er tut es zugleich als persönlicher Freund, dessen Selbst mit dem Jesu verschmilzt. Aber das ist zu kurz und zu summarisch.

Das Johannesevangelium zeichnet sich durch einige auffällige Unterschiede zu den anderen Evangelien aus. Johannes berichtet zwar weniger Wunder, aber die Wunder, von denen er berichtet (Kana, Bethesda, Lazarus, u.a.), tragen das Kennzeichen, dass die historische Tatsache/das Wunder und die Verdichtung/Bedeutung eng miteinander verbunden sind. Das historische Ereignis wird zum Symbol. In Kana wird das Wasser zu Wein, und das rettet die Hochzeit, aber mit diesem Ereignis im Dorf Kana wird gleichzeitig die Ehe zwischen Gott und Mensch erneuert, dank des Blutes Christi, das der wahre Wein ist. Lazarus - Jesus liebte ihn - wird von den Toten auferweckt, aber mit seinem Namen symbolisiert er gleichzeitig den ersten Hohepriester, der im Alten Testament die Nachfolge Aarons antrat, Eliezer. Mit anderen Worten: Israel selbst wird von den Toten auferweckt. Aber zu einem hohen Preis. Die Auferweckung des Lazarus ist der unmittelbare Anlass dafür, dass Jesus abgeholt und ans Kreuz genagelt wird.

Kreuz und Auferstehung Christi sind nicht nur der Wendepunkt der Geschichte, sondern die gesamte Vor- und Nachgeschichte ist daran beteiligt. Der Prolog des Johannes handelt von dem Wort, durch das die Welt von Anfang an geschaffen wurde, und Christus ist dieses Wort 14. Im abschließenden Kapitel argumentiert Johannes, dass die Welt nicht die Bücher enthalten kann, die geschrieben werden sollten, um weiter zu erzählen, was alles durch dieses Wort bewirkt wurde.

Bei Johannes findet eine Berufung der Jünger nicht statt. Statt zwölf werden nachdrücklich nur sieben genannt. Auch eine Verherrlichung auf dem Berg gibt es nicht. Erst als die Griechen (wahrscheinlich griechisch sprechende Juden) Jesus sehen wollen (Kapitel 12), ertönt eine Stimme vom Himmel und Jesu Wort “Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles zu mir ziehen” (32). Die Verherrlichung findet nicht auf dem Berg statt, sondern am Kreuz. Jesus ist weniger ein Fertigprodukt, das vom Himmel herabkommt, als in den anderen Evangelien, sondern es ist die Kreuzigung des Menschensohnes, die die Inkarnation des Gottessohnes verwirklicht.

Bei Johannes gibt es auch keine Versuchung in der Wüste. In den anderen Evangelien bildet die Versuchung in der Wüste den Abschluss der Entwicklung Jesu zum kommenden Christus. Jetzt ist er bereit für seine Aufgabe. Deshalb beginnen die Evangelien mit der Versuchung in der Wüste. Auch nach Rosenstock-Huessy können wir über das Leben Jesu vor seinem öffentlichen Auftreten nur Vermutungen anstellen 15. Johannes hingegen gibt einige subtile Hinweise auf eine Entwicklung und ein Wachstum Jesu zu seiner Aufgabe 16. Johannes legt Zeugnis für Jesus ab (Johannes 1), aber Jesus tauft dann immer noch auf die gleiche Weise wie Johannes damals. Johannes der Täufer bleibt in der Wüste, wie es die Sekte der Essener tat, die zu einem sittlich hohen Leben aufrief. Auch nach Ansicht der Essener, die in der Wüste ein solch sittlich hohes Leben führen wie Johannes der Täufer, muss früher oder später jemand damit heraus kommen! Johannes hat dieses Herauskommen eines höheren moralischen Lebens in Jesus gesehen: er wird derjenige sein, der das tut. Er wird es auf die Landkarte bringen. Jesu Auftreten im Tempel, bekannt als die so genannte Tempelreinigung, bei der er die Wechselbälger und Händler vom Tempelplatz in Jerusalem vertreibt, ist dieser Schritt nach außen. Doch beim Wunder der Brotvermehrung (Johannes 6) tritt Jesus selbst auf die Bremse. Er zieht sich plötzlich zurück: “Jesus verstand, dass sie ihn zwingen wollten, mit ihnen zu gehen, und ihn dann zum König erklären würden”, sagt Johannes. Es scheint, als ob die Versuchung zum Königtum hier Teil seines eigenen Entwicklungsprozesses ist: So sollte es nicht laufen, wird ihm klar, nachdem er die Menge gespeist hat (immerhin das Mindeste, was von ein König erwartet wird).

Wieder steht Jesus auf der Bremse, als ihm die Menschen in Jerusalem entgegenkommen. Schnell setzt er sich dann auf einen Esel (Johannes 12,12). In den anderen Evangelien ist dies eine geplante Aktion, bei der Jesus im Voraus Anweisungen gibt, einen Esel zu besorgen, um auf ihm sitzend in Jerusalem einzuziehen. Hier bei Johannes kommt das Volk zu ihm mit den Worten “Hosanna! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn, des Königs von Israel”. Und dann: “Jesus sah einen Esel stehen und setzte sich auf ihn…” - Es sieht hier eher nach einer Notmaßnahme aus: Er sieht diesen Esel im letzten Moment stehen und um nicht als Freiheitskämpfer gesehen zu werden, ergreift er die bessere Möglichkeit, als Friedensfürst in Jerusalem einzuziehen. Es gibt also Anzeichen für Schritte des Wachstums, der Richtungswahl, der Anpassung. Das ist es, was ihn menschlich macht. Und es ist der Jünger, den Jesus liebte, Johannes, der mit diesem Wachstum wächst. Mehr als in den anderen Evangelien liegt die Betonung bei Johannes auf dem “Ich” Jesu: “Ich sage euch…” und “Ich bin es…”. Das Ich des Johannes verschmilzt mit dem Ich von Jesus. So wie Jesus mit Autorität Ich sagen musste, so muss es nun auch Johannes tun. Er soll in Jesus bleiben und so bleibt Jesus in ihm.

Johannes soll “ich” sagen außerhalb der institutionellen Unterstützung der Kirche. Wir würden erwarten, dass die Institution selbst Dauer gewährt: also Petrus an der Spitze der Kirche in Rom. Am Ende des Johannesevangeliums fragt Petrus, was aus diesem Jünger (Johannes 21), also aus Johannes, werden soll. Und er erhält die Antwort: “Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht dich das an?” Was auch immer mit dieser Antwort gemeint ist, Johannes wird hier als der Bleibende hingestellt und nicht Petrus, der die institutionelle Kirche aufbauen wird. Könnte es sein, dass Johannes in seinem hohen Alter bereits gesehen und vorausgesehen hat, dass diese Institution, die vor seinen Augen Gestalt annimmt, ebenso sehr ein Hindernis wie ein Medium zur Veränderung ist? Johannes beklagt sich in seinem dritten Brief über einen Diotrefes, der die Gemeinde leitet, ihn aber ausgrenzt. Hat Johannes schon gemerkt, dass immer wieder diejenigen, die “ich” sagen, oft gerade diejenigen sind, die ohne institutionelle Absicherung ihr Amt ausüben müssen und auf sich allein gestellt sind? Genau das ist aber auch das, was vom Evangelium “bleibt”, wenn wir in Jesus “bleiben”. Denn dann bleibt diese Kraft auch in uns.

Rosenstock-Huessy hat über den Evangelisten Johannes geschrieben zu Ehren von Hans Ehrenberg in Die Sprache des Menschengeschlechts 17 unter dem Titel “Die störende Anwesenheit des Johannes”, ein Titel, der sich auch stillschweigend auf Hans Ehrenberg selbst beziehen kann (Hans = Johannes). Durch seine Rolle außerhalb der Kirche als inoffizieller Gläubiger konnte Johannes den Geist davor bewahren, von der Kirche vereinnahmt zu werden. Kirchenleute neigen immer dazu, die eigentliche Bedeutung des Jetzt zu unterschätzen. Gott, der am Anfang und am Ende da ist, ist auch jetzt da, und so wird von ihm als dem immer Gleichen gesprochen. Das ist eine Rechtfertigung dafür, eingefahrene Bahnen weiterzuführen. Außerhalb der Institution hat jedoch der Freund Autorität, der von Herz zu Herz mit Jesus spricht. Im Jetzt spricht er das Notwendige, und dieses Notwendige muss vom Anfang her und im Hinblick auf das Ende verstanden werden. “Und dank diesem Johannes wird nun der Heilige Geist umfassender als der in der Kirche des Sohnes und im Volke des Schöpfers wehende Geist. 18”. Das johanneische Christentum ist nicht eine dritte Kirche nach Rom und nach Wittenberg. Das johanneische Christentum “erhöht den Heiligen Geist über den bereits begriffenen Geist. Es verlangt von uns allen, die sich auf den Geist Gottes zu berufen wagen, dass wir noch von ihm unbegreiflich ergriffen werden können auch in der absurdesten und widerborstigsten Gestalt, damit die Kluft zwischen Gott dem Unbegreiflichen und dem Begriff Gottes in unserem Kopf nie sich verringere.”19.

Entwurzelung und Verwirrung kennzeichnen auch unsere Zeit. Die Tendenz ist unwiderstehlich, diese Krankheit mit Mehrfachrezepten zu behandeln. Herrscher und Völker ziehen kurze Linien zu ihrer eigenen Vergangenheit unter ihrem eigenen kleinen Baldachin und bauen darauf auf, um eine Zukunft für ihre eigene Existenz und ihr eigenes Volk zu entwerfen. Auf diese Weise wiederholen sich alte Konflikte, und die Geschichte dreht sich im Kreis, um erneut blutig mit schon früher gelernte Lektionen konfrontiert zu werden, ohne dass ein Fortschritt erzielt wurde. Wer dagegen etwas zu sagen haben will, muss die Linien verlängern, weiter in die Vergangenheit hinein. Das maßgebliche Ich, ich, kann nur für die Zukunft sprechen, wenn es ein Knotenpunkt der Stimmen der Vergangenheit ist. Zu diesem Zweck schrieb Rosenstock-Huessy sein soziologisches Werk sowie sein zweibändiges Werk über die menschliche Sprache. Sich darauf einzulassen, bedeutet eine Vertiefung meines Ichs, meines Selbst, und aus dieser Tiefe, der Tiefe der Seele, kann ich Worte sprechen, die Frieden schaffen. Solange wir als Menschen das nicht können, sind wir Menschen des Augenblicks, die sich mit zu kleinen Teilwahrheiten gegenseitig die Köpfe einschlagen. Die Institutionen, die uns unterstützen, können uns nicht die Verantwortung abnehmen, zutiefst “Ich” zu sagen. Ohne den Schutz solcher Institutionen müssen wir, muss ich, immer wieder wagen, unter freiem Himmel zu sprechen, zu antworten. Aber ich kann dies nur tun, wenn die Stimmen derer, die dies bereits getan haben, in meinem Herzen erklingen.

Otto Kroesen

4. Freundschaft bewährt sich trotz alledem – NADESHDA

3 Jahre hatten uns Corona und die politischen Wirren unserer Zeit gehindert nach Nadeshda zu reisen. Nadeshda heißt das deutsch-belarussische Gemeinschaftsunternehmen zur Rehabilitation von Tschnernobyl geschädigten Kindern. Es ist ein sehr erfolgreiches und grosses Projekt. Über 120000 Kinder haben dort schon umfassende Rehabilitation (medizinisch, seelisch, Ernährung…) erfahren. Im April dieses Jahres haben wir uns zu dritt auf die Reise zu den Freunden gemacht. Gemeinsam haben wir am 26.4. des Tschernobyl Unglücks (26.4.1986) gedacht, von dem die Menschen in Belarus am stärksten betroffen waren und betroffen sind bis heute. Wir haben dann gemeinsam neun Namenshäuser eingeweiht, darunter auch das von uns Bobbies mit Hilfe von Spendern ermöglichte Haus Bobbie-Bottrop, das Haus Gronau, das Haus Menzel, das Haus Ackermeier. Diese Namen stehen für die lange westfälische Freundschaft und Teilhaberschaft am Projekt NADESHDA seit 1993. Bobbie Bottrop

Unser Besuch war für uns und unsere Freunde so ermutigend, dass wir ein neues Projekt ins Auge fassten. Direktor Makuschinski sagte, dass wir in eine neue Epoche der Partnerschaft eingetreten sind durch den Bau der Namenshäuser. Zuerst war da die Suche nach Versöhnung und Hilfe für die Kinder von Tschernobyl. Das bleibt und unser Schirmherr OB Tischler hat es in der Widmung in seinem Geschenk BOTBAND (einem Buch über Innovation City Bottrop) für das Kinderzentrum auf den Punkt gebracht: „In Gedenken an die Opfer von Tschernobyl und alle, die bis heute an den Folgen leiden. Die Erinnerung zu bewahren ist Aufgabe aller kommenden Generationen.“

Ja, aber jetzt brauchen wir Erhaltung und Stiftung von Völkerfreundschaften durch gemeinsame Arbeitseinsätze und Zusammenleben auf Zeit: Völkerdiplomatie.

Ich erinnerte an den Kreisauer Kreis im Widerstand zur Überwindung des Nationalsozialismus der solche Erfahrung für notwendig hielt um neue politische Sprache zu ermöglichen. In diesem Sinne sagte US-Präsident Eisenhower 1956: „Unsere überzeugendsten Diplomaten können Frieden nicht erreichen ohne Verstehen, und Verstehen kann nur durch die Herzen der Leute erreicht werden. Mensch zu Mensch Programme bieten den Verhandlungen von Regierungen eine wichtige Ressource, indem sie die Leute selber dem gemeinsamen Wunsch/Sehnen nach Freundschaft, gutem Willen und Zusammenarbeit für eine bessere Welt für alle Ausdruck geben lassen.“ In seiner letzten Präsidentenrede vom Januar 1961 hat er gewarnt vor den Gefahren, die der „einflussreiche militärisch-industrielle Komplex“ für die USA in Zukunft mit sich bringen würde. Nur wachsame und informierte Bürger können das angemessene Vernetzen der gigantischen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammen wachsen und gedeihen können.“[44] Hütte im Aufbau

Herr Makuschinski schlug vor, dass wir zusammen ein weitere Namenshaus in diesem Jahr errichten und dass langsam immer mehr gemeinsame Arbeitseinsätze ermöglicht werden. Mit diesem Wunsch reisten wir zurück. Im Juli konnten wir melden: Es ist gelungen. Die alte westfälische Freundschaft hat sich bewährt. Wir haben von der westfälischen Kirche und der Stadtsparkasse Bottrop und aus dem Freundeskreis Nadeshda die nötigen Mittel bekommen. Vielen vielen Dank! Im September reisten wir dann zu viert nach Nadeshda, um mit unserem Dolmetscher Freund Pavel und vier Mitarbeitern des Kinderzentrums das Haus zu errichten. Andre, einer von Ihnen hat uns jeden Tag begrüßt mit dem Freudeschrei: „Oh mein Gooott!“

Auf diese Häuser freuen sich viele Jugendliche, die im Sommer dort Feriencamps erleben können. Die Kinder und Jugendlichen erfahren ganz lebendig das Motto des Kinderzentrums: „wmestje w buduscheje Gemeinsam in die Zukunft“. Dem Kinderzentrum hilft das seine Finanzen zu stärken für die Rehabilitation der Kinder.

Gemeinsam haben wir ein weiteres westfälisches Engagement besucht. Am Narotsch See in Stachowzy hat Dietrich von Bodelschwingh mit vielen Westfalen Niedrigenergiehäuser gebaut für Menschen aus den verseuchten Zonen. Ulrike Jaeger von der evangelischen Jugend gehört dazu. Bis heute führt sie Projekte mit den Partnern dort und in Deutschland durch. In einem Museumsdorf konnten wir die Häuser, Wasser und Windmühlen, Werkzeuge und Haushaltsgeräte wie den Samovar der russischen und weissrussischen Völker bestaunen, die Jahrhunderte im Gebrauch waren.

Wie geht es weiter?

Am wichtigsten war die Freude an der lebendigen Freundschaft. Diese Freude gebar den Mut ein neues Projekt ins Auge zu fassen. Wir besuchten die Schule für die Region im Nachbardorf Ilya. Sie ist eng mit der Schule in Nadeshda verbunden und braucht dringend Bauerneuerung. Leider hat die Weltbank ihnen die zugesagten Hilfen abgesagt. Aber der Bedarf an Erneuerung bleibt dringend. Ob wir Westfalen das stemmen können? Das Schulgebäude zu dämmen wäre eine Aufgabe. Erneuerung des Mobiliars und der Elektrik zwei weitere. Abschied: Kommt wieder Das große Dorf Ilya war bis 1942 zur Hälfte von Juden bewohnt. Deutsche (Dirlewanger) und ukrainische SS Truppen (Division Galizien) haben sie ermordet. Nikolaj hat uns zum Mahnmal geführt.

Wir konnten nichts zusagen außer, dass wir versuchen aus Wirtschaft, Gesellschaft und unserer Kirche, Menschen zu gewinnen diese Aufgabe mit den Freunden in Belarus zu stemmen.

Ich schließ mit den Dankes Worten des Direktors Makuschinski in seinem Geschenk für unseren Schirmherrn OB Tischler: „Mit Dankbarkeit und den besten Wünschen aus dem Kinderzentrum „Nadeshda“, das all diejenigen Menschen vereint, die das Schicksal der Kinder von Tschernobyl nicht gleichgültig lässt; die bereit sind, sie mit Fürsorge und Aufmerksamkeit zu betreuen, die fähig sind, das Verständnis zu zeigen und zu unterstützen, und die sich der Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft auf unserem Planeten Erde bewusst sind.

Direktor der belarussisch-deutschen gemeinsamen Gesellschaft mit beschränkter Haftung „Rehabilitations- und Erholungszentrum für die Kinder „Nadeshda“.“

Thomas Dreessen

5. Die „Vernunft“ der echten Revolution

Heinrich August Winkler streift Eugen Rosenstock-Huessy

Die Historiker zaubern wieder. Nachdem der Marxist Eric Hobsbawm - vor seiner Emigration nach Großbritannien war sein Name Obstbaum - für die neueste Geschichte das Fazit eines langen 19. (1789 bis 1914) und kurzen 20. Jahrhunderts (1914 bis 1989) gezogen hatte, verlegen Geschichtsmaschinisten inzwischen den letzten markanten Einschnitt wahlweise auf 1979 (u.a. Revolution im Iran und den Einmarsch Rußlands in Afghanistan) oder 2014 (u.a. Annexion der Krim und Abschuß MH17)10. Warum nicht auf den Amtsantritt von Vladimir Putin 1999 oder auf den Angriff auf das Herz des amerikanischen Kapitalismus 9/11 2001? Zumal unter dem Verweis auf Alexis de Tocqueville erneut Parallelen zwischen dem Ancien Regimé vor 1789 und dem Untergang des Westens gezogen worden sind. 11 Aber Historiker können Geschichte ausdeuten, aber keine Epoche „machen”. Dessen war sich Eugen Rosenstock-Huessy sicher.

Der Historiker darf ja nicht vergessen, daß sich die Völker ihre Geschichte zuerst und vor allem selber schreiben. In ihren Geschichtstagen, ihren Vorurteilen, ihren Ausdrücken und Ämtern wird den wichtigen Ereignissen Dauer verliehen und die ursprüngliche Quelle sprudelt so ewig fort als wahrste geschichtliche Quelle.12

Eine Formel Michael Gorbatschows ist im Jubiläumsjahr der Französischen Revolution und im Jahr des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens sprichwörtlich geworden, die er beim Besuch der DDR zum 40 Bestehen der Republik am 7. Oktober 1989 im Beisein des erstarrten Erich Honecker fallen ließ, der in der Vergangenheit der Bedrohung des „Faschismus“ lebte und immer noch gegen den weiter starrsinnigen Stahlbaron Geheimrat Stumm kämpfte: „Wer zu spät kommt, den bestraft des Leben.“ Der politische Denker, dessen Überlegungen grundlegend auf dieser Einsicht fußen ist Eugen Rosenstock-Huessy. In der amerikanischen Ausgabe seines bekanntesten Buches über die Europäischen Revolutionen stellte er 1938 fest: „Timeliness is everything. Reality is „good“ when it proceeds timely; it is bad when too late or too early.“13

Denn wir müssen wissen, was die Stunde geschlagen hat; wir müssen die Toten ihre Toten begraben lassen. Wie können wir das, wenn Gott nicht die Epochen stiftet? Um dieses sein jeweiliges Stiften herum sind meine „Europäischen Revolutionen“ geschrieben.14

Vor diesen Hintergrund ist es bedauerlich, daß sein Revolutionspanorama in den Geisteswissenschaften ein Nischendasein führt, ganz im Gegensatz zur Renaissance von Hannah Arendts „Revolutionstheorie“:

Im übrigen ist das Arendtsche Revolutionsverständnis gewiß ein solches von besonderer Art, das nicht mit dem traditionellen Verständnis von Revolution verwechselt werden darf. Dieses spricht von Revolution in bezug auf einen vollständigen und bewußt vollzogenen Umsturz der Regime. Das Arendtsche Revolutionsverständnis hingegen ist durch seinen Bezug auf das komplementäre Handlungsmoment des bewahrenden Fortführens spezifisch republikanisch zugerüstet. Es gibt überhaupt nur einen einzigen Denker, bei dem etwas Vergleichbares zu finden ist: Eugen Rosenstock-Huessy, der wie sie und aus dem gleichen Grunde: wegen seiner jüdischen Herkunft, in die USA emigrieren mußte; und es mag sehr wohl sein, daß die jüdische Prägung beider diese Verwandtschaft gestiftet hat. Denn schließlich ist der Gott der Juden, den die Christen von ihnen bekommen haben, ein ungemein tätiger und anfangen-könnender Gott. Charakteristisch für sein Tun ist das Schließen von Bünden – wie beim Bund mit Israel -, in denen das weitere Handeln sich nun abspielen kann.15

„Deutsche Revolutionen“ im Zeitraffer

Zum 175. Gedenken an die „gescheiterte“ demokratische Revolution von 1848 hat Heinrich August Winkler, vielleicht der letzte große Historiker aus der Kohorte der 30er Jahre, eine weitere Aufsatzsammlung zur deutsche Geschichte vorgelegt. Dabei betrachtet er die Julirevolution im Vergleich mit den Revolutionen von 1919 und 1989.16 In seinem Schlußkapitel „Revolutionen in Perspektive: Rückblick und Ausblick“ geht er noch einmal systematisch auf das Phänomen der Revolution ein. Und er markiert eine neue Phase des westlichen Revolutionszyklus: „Seine monopolartige Vormachtstellung hat der Westen seit langem verloren. Die weltweite Anziehungskraft, die noch heute von seinen einst revolutionären Werten ausgeht, wird er nur bewahren können, wenn er sich selbstkritisch seiner Vergangenheit stellt, zu der auch brutale Verstöße gegen die Ideen der allgemeinen, unveräußerlichen Menschenrechte gehören, und entschlossen ist, gemeinsam seine Werte gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen.“17 Man erkennt, daß er die Neuauflage von Crane Brintons Revolutionsklassiker im Karolinger Verlag zur Kenntnis genommen hat.18 Wie ein Mantra wiederholt er dabei den Hinweis auf die von Eugen Rosenstock-Huessy hervorgehobene „Papstrevolution“, ohne dabei näher auf dessen Revolutionsverständnis einzugehen. Außerdem verliert er kein Wort über die Kontroverse, die sich Crane Brinton und Eugen Rosenstock-Huessy in den dreißiger Jahren, nach Erscheinen der amerikanischen Ausgabe der Europäischen Revolutionen geliefert hatten. 1938 erschien die als spiegelbildlich für den amerikanischen Leser adaptierte Fassung „Out of Revolution“, die in Deutschland über Jahrzehnte unbeachtet geblieben ist. Mit Crane Brinton traf das Werk auf einen der modernen Systemtheoretiker wie sie nach dem zweiten Weltkrieg die Geisteswissenschaften dominieren sollten. Eine größere Distanz zu dem, die Gesellschaftsdimensionen biographisch und in Generationfolgen ausleuchtenden Werk von Eugen Rosenstock-Huessy läßt sich kaum vorstellen. Dabei entstanden dessen Grundüberlegungen viele Jahre vor dem Generationenansatz von Karl Mannheim. Leider geht Heinrich August Winkler mit keinem Wort auf die Debatte der Zwischenkriegszeit ein. Er bleibt bei seiner schon aus vorherigen Werken bekannten Wertschätzung für die „fruchtbare” Deutung der Papstrevolution „durch den deutschen Universalhistoriker Eugen Rosenstock-Huessy in seinem Buch von 1931“.19 Das ist immerhin löblich, wird dem facettenreichen Werk aber nicht wirklich gerecht. Gerne hätte man aus der Feder des Emeritus der Humboldt Universität mehr über den Autor der Papstrevolution erfahren, als daß er 1958 Zuhörer an der Münsteraner Gastvorlesung des Auswanderers war.

Parallellektüren: Crane Brinton und Eugen Rosenstock-Huessy

Im gleichen Jahr 1938 als Crane Brinton seine „Anatomie der Revolution“ veröffentlichte, erschien Eugen Rosenstock-Huessys grundlegend für die amerikanische Leserschaft neu erarbeitete Studie „Out of Revolution“. Brinton hatte sich zuvor vor allem mit der Französischen Revolution beschäftigt und ein Werk über den revolutionären Außenminster Talleyrand vorgelegt.20 Es hat seinen besonderen Reiz, daß beide Autoren im darauffolgenden Jahr das Werk der jeweils anderen rezensiert haben, zunächst Crane Brinton in „Political Science Quarterly“ und im folgenden Monat Eugen Rosenstock-Huessy in der „American Historical Review“.21 Brinton war in seiner Zeit sicher einer der Stars der politischen Wissenschaften und er zeigte sich einigermaßen konsterniert über den Ansatz des Professors „of so German a soul“. Dessen Zugriff verortete er in der romantischen Tradition von Hegel und Spengler, ja in Teilen sogar in Verbindung zum Theosophen und Mystiker Emanuel Swedenborg, was wohl auf den aus seiner Sicht spekulativen Charakter deuten soll. Für den fortschrittsoptimistischen amerikanischen Leser dürfte schon die Formulierung abschreckend gewirkt haben, daß in „Out of Revolution“ keine neuen Einsichten oder Theorien präsentiert würden, sondern daß „altes Material“ lediglich im Englischen neu arrangiert worden sei. Ein Brücke zum „Stand der Forschung“ konnte Brinton in diesem Werk nicht finden: „But in the whole it is the far-fetched interpretative use he makes of data, rather than actual defective data, that will shock the orthodox social scientist.“ Der so karikierte „Alteuropäer“ widmete eine Doppelrezension dem Werk von Crane Brinton sowie den „Sechs neuzeitlichen Revolutionen“ von Roger Bigelow Merriman.22 Eugen Rosenstock-Huessy würdigte den breiten Ansatz und die vielen historischen Details beider Werke. Auch die wechselseitigen Beeinflussungen der revolutionären Bewegungen würden beachtet: „From 1640 to 1660 political unrest made itself felt all over Europe from the Ukraine to Spain, from Naples to Denmark. Everywhere, the lower estates, as John Knox had called them, tried to challenge the higher.“ Dennoch ersparte er den Autoren nicht den Vorwurf in ihrer scheinbar unbeteiligten Abstraktion das emotionale Wesen der Revolutionen zu verfehlen: „Limiting his „facts“ from by the „case“ method, Brinton fails to see why wars are essential elements in the patttern of 1789 and 1917, preceding the Russian, following the French revolution. Atomazing further, Brinton suggests that the rest of the world got hold of the decimal system, „without benefit of revolution“. This is the conclusion when the French revolution ist treated as lasting only from 1789 to 1814. In this case the later adoption of the decimal system by other countries does not appear to be the fruit of French suffering.“ So anschaulich sie ihre Exkurse auch ausleuchteten, gelänge es Brinton und Merriman aus der Froschperspektive nicht, wirkliche Zusammenhänge zwischen späteren und früheren Revolutionen in den Blick zu bekommen oder die tiefgreifenden und unterschwelligen Wirkungen der echten Revolutionen in die Gegenwart zu verstehen: „From this point of view, the same revolutionary processes that are failures to Merriman and Brinton are to me highly rational and effective. To me revolutions call their particular generation back into the phylogenetic history of Man. Do not the authors owe their own chairs of history to the English, the French, the American revolution? Yet, responsibilty for the future of social evolution is excluded from their patterns of scientific thinking. Hence the new barbarians reciprocate and exclude scientific and social teaching from their future world. The books testify to J. Benda’s Trahison de Clerks. The academic scientists have imperiled our intellectual freedom. They have watched society instead of watching out for it.“

In seinem Nachwort zur Neuausgabe der Anatomie von Crane Brinton geht der Herausgeber Manfred Lauermann auf die verschiedenen Revolutionskonzepte ein und bringt die geradezu spiegelbildlichen Widersprüche auf den Punkt:

Nicht zuletzt diese philosophische Fügung erklärt die Ironie, die Brinton Hannah Arendts “Über Revolution” gegenüber einnimmt. Er kopiert Arendt in die Folie Rosenstock-Huessy, der mit Vorliebe im Wolkenkuckucksheim brüte, und nur zu gern übersehe, was ihm in seine Metaphysik des Gutmenschen nicht hineinpassen würde. Sein Ergebnis: Wenn die beiden richtigliegen, ist sein Buch Nonsens, was man vielleicht aber auch umgekehrt sehen kann. Welches Konzept nach 75 Jahren seine Überzeugungskraft bewahrt hat, möge jeder Leser für sich entscheiden.

Revolution zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Es dürfte kein Zweifel bestehen, daß das Thema der Revolution wie kaum ein zweites das Leben und Werk von Eugen Rosenstock-Huessy durchzieht. Der Berliner Schüler verfolgte 1905 die Nachrichten aus dem fernen Rußland; vielleicht sein politisches Erweckungserlebnis. Das große Rußland wurde militärisch vom kleinen Japan geschlagen und erlebte dabei eine „verfrühte“ Revolution, die aus genau diesem Grunde scheiterte.
Rußlands Volk hatte noch kein Gedächtnis, das über 1905 zurückreicht. Es erwirbt es in diesem Kriege. Die Revolution ist die erste bleibende Narbe in Mütterchen Rußlands bisher ewig schicksallosem Antlitz. Maxim Gorki ist der erste Volkssänger, der diese Schicksallosigkeit überwindet, indem er sie und immer wieder sie ausspricht.23

An diesem Exempel schulte er sein Sensorium für das Zusammenwirken von Krieg und Revolution, nicht als Wunschbild und Hoffnung, sondern als einen Indikator für konkrete Wirkungen heilsgeschichtlicher Vorgänge, auf die er wie kein anderer immer wieder hingewiesen hat. Dem Briefwechsel mit Franz Rosenzweig ist zu entnehmen, daß seine Gedanken gerade in der höchsten Spannungszeit der „Urkatastrophe” des ersten Weltkrieges heranreiften: Am 15. Dezember 1917 beschrieb Franz Rosenzweig sich als Schüler von Eugens Revolutionstheorie und schlug vor, ein Buch daraus zu machen: „Revolution. Eine Philosophie der europäischen Geschichte von Dr. Eugen Rosenstock, ao. Professor der Geschichte an der Universität Wien, Berlin bei S. Fischer 1918“.24 Außerdem fühlte er sich durch Oswald Spenglers kulturgeschichtliches Großprojekt eines Untergangs der Abendlandes herausgefordert. Im April 1919 traf er Spengler persönlich in München. Im Heidelberger Ausflugslokal Stiftsmühle entstand darauf seine Kritik der Geschichtsphilosophie des Bestsellerautors über den „Selbstmord Europas“.25 Einen weiteren Kontrast bildete das marxistische Revolutionsverständnis, daß zwar schon den Zusammenhang von Krieg und Revolution blutrot markiert hatte, mit seiner Fundamentalkritik jedes Staates, die Lenin im ersten Weltkrieg vorgelegt hatte, aber ebenso einseitig die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft betonte.26

Hans Thieme hat in seiner Würdigung von Eugen Rosenstock-Huessy darauf verwiesen, daß dessen Konzeption der Europäischen Revolutionen schon in seinem Werk über die Epochen der deutschen Geschichte angelegt war:

Die Wendepunkte der solchergestalt abgegrenzten Epochen des Rechts sind die Revolutionen. Auch dieser Gedanke ist in dem Aufsatz von 1919 schon vorgebildet. „Die Rechtsgeschichte hat bisher die Kriege und die Revolutionen nicht ernst genommen. Aber wenn die Gesundheit des Körpers nie besser als an der Krankheit erkannt wird, so gehörte die tiefe Unwirklichkeit des abgelaufenen Historismus dazu, um nicht in den Kriegen gewaltige Umschichtungen des Rechtsgefühls und der Rechtsvorstellungen aufzusuchen.“ Aus diesen Ansätzen von 1919 entsteht dann 1931 in Gestalt der „Europäischen Revolutionen“ eine „Formengeschichte des Rechts“, die Rosenstock als „wirkliche Rechtsgeschichte“ ansieht, auch wenn die Fachwissenschaft von ihr, charakteristisch genug, weniger Notiz nimmt als die Geschichtswissenschaft allgemein.27

Sehr aktuell und gar nicht seltsam klingt Eugen Rosenstock-Huessys Bericht über eine Heidelberger Tagung zum Thema einer europäischen Kooperation in der Endphase der Weimarer Republik:
Ich habe eine Tagung von 1931 über die Einheit der europäischen Kultur in schmerzlicher Erinnerung. Sie war damals von der Europäischen Union des Prinzen Rohan nach Heidelberg einberufen worden. Ich weiß nicht, ob wir irgend jemand sonst hier haben, der dieses Fest vor dem Untergang des alten Europa mitgemacht. Da haben sich die Kulturträger der verschiedenen Nationen ein Stelldichein gegeben und haben, entwicklungsmäßig, ohne Katastrophe, ohne große Kriege und Revolutionen, ohne Umsturz, geglaubt, sie könnten Europa zusammenreden, indem sie jeder sozusagen ihren eigenen Beitrag zu dieser europäischen Kultur anpriesen.28

Sein erstes 1920 erschienenes nichtakademisches Buch trägt den Titel „Die Hochzeit des Kriegs und der Revolution“. 1931 folgten die „Europäischen Revolutionen“ als begriffsgeschichtlicher Festschriftbeitrag sowie als komplementäre europäische Ereignisgeschichte und seine Soziologie schildert die großen kulturellen Revolutionen der Menschheitsgeschichte, von den Stämmen und Reichen zu Staaten und Kirchen bis zur Weltgesellschaft, die niemals als einheitliche staatliche Ordnung verstanden werden darf. In dieser Universalgeschichte nehmen die ägyptische Revolution, die jüdische Revolution, die griechische Revolution sowie die christliche Revolution einen besonderen Platz ein. Und diese Revolutionen waren nur möglich, indem der Himmel auf die Erde geholt wurde und die handelnden und teilnehmenden Menschen ihre äußersten seelischen Kräfte einsetzten, ohne an Blut und Boden kleben zu bleiben. Noch der Begriff der Revolution verdankt seine erste relevante Bedeutung dem Umlauf der Planeten, bevor er immer mehr für gesellschaftliche Umwälzungen in Mode kam.

Natürlich hat Eugen Rosenstock niemals einen Monopolanspruch auf das Thema erhoben. Zeitgenössisch konnte er bei Max Weber oder dessen Freund Siegmund Hellmann anknüpfen. Max Weber hatte in seinen universalhistorischen Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ fünf große Revolutionen namhaft gemacht
Auch in der Epoche der Staatenkonkurrenz war in China die Rationalisierung der Verwaltung und Wirtschaft in engere Schranken gebannt als im Okzident. Deshalb, weil im Okzident – abgesehen von den schon erwähnten Unterschieden der Appropriation – starke, auf eigenen Füßen stehende Mächte vorhanden waren, mit welchen entweder die Fürstenmacht sich verbinden und die traditionellen Schranken zerbrechen konnte, oder welche, unter sehr besonderen Bedingungen, ihrerseits aus eigener militärischer Macht heraus die Bindungen durch die Patrimonialmacht abwerfen konnten, wie die fünf großen, für das Schicksal des Okzidents entscheidenden Revolutionen, die italienische des 12. und 13., die niederländische des 16., die englische des 17., die amerikanische und französische des 18. Jahrhunderts es getan haben.29

Vielleicht knüpfte der Philologe Siegmund Hellmann, ein Münchener Freund Max Webers und ein Schüler des Philologen Ludwig Traube, den Eugen Rosenstock-Huessy sehr verehrte, hier an. Jedenfalls legte er 1919 einen historischen Essay über die neuzeitlichen Revolutionen vor, der sich vor allem der Deutung der neuzeitlichen „westlichen“ Revolutionen verschrieb.30 Das hier ein wesentliches Momentum der europäischen Geschichte erkannt wurde, hatte schon Webers Heidelberger Juristenkollege Georg Jellinek angedeutet, den Weber als politischen Kopf schätzte
Omne ius aut consensus fecit, aut necessitas constituit, aut firmavit consuetudo. Von der necessitas, die Modestin als rechtschöpfende Macht anführt, ist in unseren Lehren von den Rechtsquellen wenig die Rede. Und doch spielt sie in dem Leben der Verfassungen eine ungeheure Rolle. Alle jene geschichtlichen Ereignisse, die außerhalb des Rechtes die Fundamente des Staates umwühlen, schaffen eine solche necessitas. Usurpationen und Revolutionen rufen überall Zustände hervor, in denen Recht und Faktum, sonst voneinander streng zu scheiden, ineinander übergehen. Das fait accompli, die vollendete Tatsache, ist eine historische Erscheinung von verfassungsbildender Kraft, gegen welche alles Ankämpfen der Legitimitätstheorien ohnmächtiges Beginnen ist.31

Jedenfalls drängte das zeitgenössische politische Denken genau in die Richtung, auf die Eugen Rosenstock in seinem Ringen um den Begriff und die historische Dimension der Revolutionen antwortete. Er selbst hat in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Denker verwiesen, den Heidelberger Ökonomen Eberhard Gothein, der Vorlesungen zur „Soziologie der Revolutionen“ anbot, die der Student besucht haben könnte. Eine Anregung durch Gustav Radbruch, mit dem er seit 1908 befreundet war, liegt nahe. Dieser hatte in der Kulturzeitschrift „Logos“ einen Beitrag über Goethes Wilhelm Meister verfaßt und sich dabei insbesondere mit dessen Revolutionsbegriff beschäftigt:
Denn Goethe ist Revolutionen im Leben der Staaten ebenso feind wie der vulkanistischen Geologie der Erdrevolutionen. Ordnung ist ihm als ein Natur und Menschheit zugleich umspannender kosmischer Wert heilig und als die unerläßliche Vorbedingung des einzigen, das not tut: des Leistens und Schaffens, selbst mit dem Preise des Despotismus, ja der Fremdherrschaft nicht zu teuer erkauft. Deshalb müssen wir auch das letzte Wort Goethescher Gesellschaftsphilosophie dort suchen, wo er sein Gemeinschaftsideal ohne Rücksicht auf überlieferte Ordnungen im geschichtsleeren Raum zu konstruieren in der Lage ist: bei den Amerika-Wanderern.32

In seinem Vorwort zum Revolutionsband seiner „Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft“ rechnete Imanuel Geiss Eugen Rosenstocks Revolutionen zusammen mit Eric Hobsbawn zu den Klassikern des Genres, allerdings mit der Einschränkung, daß er mit fragwürdigen Methoden und unzulänglichen Ergebnissen arbeite sowie auf die Europäische Geschichte beschränkt sei. Immerhin sei er anregend „als geistvolle intellektuelle Provokation“. Dabei unterschlug er die, den europäischen Kontext überschreitende amerikanische Ausgabe „Out of Revolution“ sowie den welthistorischen Ansatz, auf den die Soziologie zielte.33 Aber keiner dieser Vordenker hat in der Herausforderung durch Marx und Nietzsche ein ähnlich breit angelegtes begriffs- und ereignisgeschichtliches Ouvre zum Thema Revolution vorgelegt wie Eugen Rosenstock-Huessy.

Eugen Rosenstock-Huessy und die Revolution in Wort und Wirkung

Als einige Thesen zum Revolutionswerk von Eugen Rosenstock-Huessy lassen sich festhalten:

  1. Die Frage der Revolution nimmt eine zentrale Bedeutung im Gesamtwerk ein und wird in verschiedene Fassungen und Dimensionen bearbeitet.
  2. Biographische Anknüpfungspunkte finden sich seit 1905 persönlich zum russischen Revolutionär Eugen Leviné sowie zu den Vordenkern, Max Weber, Eberhard Gothein, Siegmund Hellmann und Georg Jellinek sowie in Abgrenzung zur materialistischen Geschichtsauffassung von Marx und Engels sowie der Kulturkreislauftheorie Oswald Spenglers.
  3. Der wesentliche Epochenbruch des 20. Jahrhunderts fällt auf das Jahr der russischen Revolution 1917 und auf der Eskalation des europäischen Krieges zum Weltkrieg; deshalb hat Jürgen Habermas mit seinem Begriff der „nachholenden Revolution“ zur Deutung des Jahres 1989 einen Punkt für die Epochengliederung getroffen, ohne daß er sich genauer mit Rosenstock-Huessys Revolutionsbegriff beschäftigt hätte (In seiner Kritik der kommunikativen Vernunft kommt dessen Sprachdenken nur sehr sporadisch vor).
  4. Die wirkliche Geschichte überragt ihre „Erfindungen“; in den wirklichen Revolutionen sprechen sich heilsgeschichtliche Kräfte aus; hier trennt sich die theoretische Spreu vom lebenspendenden Weizen.
  5. Nach längerer Beschäftigung mit dem Thema der Revolution schreibt er sein begriffsgeschichtliches Propädeutikung und seine komplemenäre europäische Ereignisgeschichte erst nach der politischen Desillusionierung durch die Septemberwahlen 1930 und persönlichen Enttäuschungen seiner politischen Initiativen in Volk und Gesellschaft.
  6. Sein Revolutionsverständnis bezeichnet eine wichtige Akzentverschiebungen zwischen Begriffsgeschichte und Realgeschichte; die „Papstrevolution“ und die „Deutsche Reformation“ bilden charakteristische Sonderformen.
  7. An der Revolutionsgeschichte lassen sich grundlegende Wandlungen der Verfassungsgeschichte ablesen.
  8. An den Revolutionen läßt sich die Eigenart Europas studieren, die Trennung von Kirche und Staat, aber auch die Parallelen und die Abweichungen im Islam.
  9. Sein Werk gibt schon sehr früh einen Ausblick auf die Zukunft der Revolution, die Revolution in Permanenz (Letztes Kapitel der amerikanischen Fassung „Out of Revolution“), die sich in der russischen Revolution andeutet, aber weit über diese hinaus für alle menschlichen Verbände zu einer entscheidenden Herausforderung wird. Aus der „statischen“ Agrargesellschaft wird die stetig im technischen Wandel begriffene Weltgesellschaft.
  10. Revolten, Aufstände, Volkserhebungen oder Streiks machen noch keine echte Revolution auch nicht die deutsche von 1918, auch nicht die von 1933. Auch nicht die „kleinen“, begrenzten Umbrüche in Irland, in Spanien oder in den Niederlanden.

Jede echte Revolution richte sich an alle, die Konterrevolution beschränke sich auf Einzelaspekte, ohne eine gemeinsame Zukunft „für alle“; genau diese Zukunft für alle hätten die europäischen Revolutionen ausgezeichnet: Die Trennung von geistlicher und weltlicher Autorität; die Emanzipation der gehobenen städtischen Bürgertums, dann des niedrigen Bürgertums, dann des gesamten dritten Standes und schließlich auch die „Freiheit” für alle bisher Ausgegrenzten. „Auf der Orgel der Weltgeschichte stellt jede Revolution sozusagen eine Oktave dar, eine in sich vollständige, gegen alle anderen Denkarten abgesetzte Tastatur.“34 Jede Revolution spreche ihre unverwechselbare Sprache und diese Sprach töne nicht nur national, sondern je nach Zeit konfessionell, juristisch, philosophisch oder diplomatisch.

Begriffsgeschichte und Ereignisgeschichte

Mit seinem Begriff der „Papstrevolution“ wird Eugen Rosenstock-Huessy nach wie vor erinnert und zitiert, gerade auch von Heinrich August Winkler: „Die erste Weltrevolution haben die Päpste gemacht, indem sie dem römischen Stuhl die Kuria Romana angliederten. Kurie hieß das Haus des heidnischen Rom, in dem der Senat tagte. Aber seit 1059 gibt es die römische Kurie für die Weltregierung des Bischofs von Rom.“ Und in der Tat bildet die Trennung oder vielleicht besser: der Wettstreit von kirchlicher und weltlicher Autorität eines der fundamentalen Prinzipien der westlichen Völkergemeinschaft, ähnlich der Taufe mit dem Heiligen Geist, gegen die Initiationsriten der Stämme oder die Vergottung einzelner Menschen.

Dabei ist es immerhin bemerkenswert, daß er im Jahr 1931 zwei Werke zur Revolution veröffentlichte, die sich bei der Akzentuierung der westlichen Revolutionen sehr deutlich voneinander unterscheiden. Dieser Zusammenhang ist in der bisherigen Literatur nur unzureichend beachtet worden.35 Dabei bildet der Festschriftbeitrag „Revolution als politischer Begriff in der Neuzeit“ nicht nur eine andere Schwerpunktsetzung als das Werk über die „Europäischen Revolutionen“, sondern gibt in den Anmerkungen auch deutliche Hinweise zu den Autoren, auf die sich der Autor stützte. Namen wie die Ökonomen Werner Sombart und Eberhard Gothein, der Historiker Friedrich Meinecke, der Hobbes-Forscher Ferdinand Tönnies, Carl Schmitt oder Thomas Masaryk mit seinem Buch „Weltrevolution“ finden sich nur im begriffsgeschichtlichen Exkurs, in dem er sich ganz auf die neuzeitlichen Revolutionen in Italien, England, Frankreich und Rußland konzentrierte:

Wir gewinnen so eine ganze Reihe, die Italien, England, Frankreich, Rußland umfaßt und in der jedes Glied ein anderes Territorium zum Nährboden hat und eben dadurch einen anderen Charakter trägt.

  1. Rivoluzione: Verfassungsänderung des einzelnen Stadtstaats in Italien für den abstrahierenden Zuschauer.
  2. Glorius Revolution: Aufrichtung einer Adelsherrschaft über ganz Großbritannien für die Mitspieler selbst nur tragbar als Revolution, nämlich in der Maske einer legitimen, durch keine menschliche Willkür, sondern durch ein wunderbares Ereignis vollzogenen Restauration der angeborenen unveränderlichen mittelalterlichen Freiheiten.
  3. Revolution francaise: Durch die Torheiten und Sünden der Regierung bricht sie aus als Totalumwälzung des alten unvernünftigen Weltzustandes in einen neuen vernünftigen. Schutz der Herrschaft der Vernunft durch Revolutionäre, die nach dem „Ausbruch“ der Revolution auf den Plan treten und die in allen europäischen Ländern, einem nach dem andern, 1830, 1848 usw. die gleiche nationale Demokratie durchsetzen.
  4. Weltrevolution: über alle Ländergrenzen hinweg, wenn auch von Rußland aus kaltblütig gewollt und hier besonders lange vorher durch Revolutionäre vorbereitet, vollzieht sich ein internationaler einheitlicher Weltprozeß.
  5. Der häufige Gebrauch des Wortes Revolution für Vorgänge in Belgien, Italien, Irland, Brasilien, Spanien usw. im 19. Jahrhundert soll diese Umwälzungen in den Lichtkegel des überragenden Ereignisses von 1789 rücken. Viele „Revolutionen“ heißten daher zu Unrecht so, ohne doch die prinzipielle Bedeutung des einmaligen Durchbruches zu besitzen. Hier wird sowohl für die ältere Geschichte wie für die Gegenwart nach doppelter Richtung viel Mißbrauch getrieben. Staatsstreiche, Putsche, Revolten werden Revolutionen benannt. Zweitens unterstellt die Revolutionstheorie von Karl Marx alle Revolutionen, auch die der älteren Schichten, ihrem historischen Materialismus. Das ist aber eine Rückübertragung des Typus 4 auf Vorgänge ganz anderer Art. Werner Sombart hat demgegenüber mit Recht in bedeutsamem Gegenstoß die Revolutionen als schlechthin (37) zufällig bezeichnet.1 Das sind sie gegenüber Marx. Aber dieser Zufall wohnt ihnen nur innerhalb des Duells Marxismus und Antimarxismus inne. Die weltgeschichtliche Sinngebung kann nicht – so wenig wie ein Arzt Krankheiten – Revolutionen aus dem Zusammenhang lösen.
  6. Der deutsche Zusammenbruch von 1918, der vielfach als Revolution bezeichnet wird, ist an sich keine Revolution, sondern eine überstürzte, panikartige Demobilmachung im tiefsten Unglück. Soweit dieser Zusammenbruch als Revolution bezeichnet wird, tritt er dadurch entweder unter den Schatten der Revolution von 1848 (Grundrechte der Weimarer Verfassung!), und damit des Bereichs von Ziffer 4; oder in den der russischen von 1917 (Soldatenräte!) und damit in den Bereich von Ziffer 5.36

Die Sonderfälle der Papstrevolution und der Zwitterrevolution der deutschen Revolution breitete er erst in seinem ereignisgeschichtlichen Werk über die Europäischen Revolutionen und dann in „Out of Revolution“ aus. Mit jeder Neuauflage dieser Werke erweiterte und vertieftes sich der revolutionäre Sachzusammenhang, etwa durch die Entdeckung des französischen Experimentalarchäologen Richard Lefebvre des Noettes, dessen Anmerkungen zur Nutzung der Pferdestärken durch Erfindung des Kumets er für seine Überlegungen zum Burgenbau und zum Verschwinden des massenhaften Sklaveneinsatzes er in sein Werk einbrachte.37

Die Ereignisgeschichte der Europäischen Revolutionen eröffnete dann ein Panorama, das für die häufig nationalistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kaum vorstellbar gewesen wäre. Und das als wirkliche Synthese weiterhin unerreicht ist. Nationenübergreifende Geschichtswerke lassen sich nicht von historischen Kommissionen oder Verlagen zusammenstückeln. Dann will jede einzelne Stimme gleichberechtigt gehört und berücksichtigt werden. So soll der gute Zweck die Mittel heiligen, aber einem Leser muß ein solch abgewogenes Werk zur Qual gereichen. Das erklärt auch den nachhaltigen Erfolg von historischen Wälzern mit sehr persönlicher Handschrift wie Friedrich Heers Europaschriften, Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes oder Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit.

Der Autor der Europäischen Revolutionen hat sich selbst vielfach über seinen Ansatz geäußert:
Die ausführliche Fortpflanzung dieser Weltorganisation von den Päpsten zu den Königen, zu den Ständen, zu den Bürgern, zu den Proletariern kann nicht in einem Kapitel gegeben werden. Auf 600 Seiten habe ich die Stimme aller dieser Revolutionen sich selbst aussprechen lassen. Denn nach einem großen Worte Franz Rosenzweigs braucht man nicht über die Völker kluge Bemerkungen zu machen; sondern sie selber schreiben ihre Geschichte in jenen erhöhten Augenblicken unseres Geschlechts, in denen die Seele, aufs äußerste getrieben, sich selbst schlicht und wahrhaftig ausspricht. Die großen Worte, die unsere Welt auf den Kopf gestellt haben und dank derer nun heut diese ganze Welt nicht als seelenloser Feuerball sich dreht, sondern uns, ihren Bewohnern, als Ganzes dienstbar zu werden vermöchte – diese großen Worte sind alle Revolutionsmanifeste, und sie umfassen den Diktatus Papae, die schmetternden Worte Gregors VII., die 95 Thesen Luthers, die Menschenrechte der französischen Revolution. Sie umfassen aber auch die Deliberation de Statu Imperii des Papstes Innozenz III., die Great Remonstrance des englischen Parlaments und die bolschewistischen Funksprüche an ALLE.“38

Und mit dieser Ansprache, die sich potentiell an alle Menschen richtet, ist eine Endstufe im Revolutionenablauf erreicht, die nicht weiter gesteigert werden kann. Alle in der Wirklichkeit noch unter Unterdrückung und ungerechter Behandlung leidenden Menschen und Völker sind von der Ansprache der russischen Revolution schon mitgedacht worden: „Die Weltrevolution 1917 ist die letzte einheitliche Zeiterneuerung, ist die letzte Totalrevolution der Welt, weil von nun an viele Rhythmen gleichzeitig den einen Weltraum durchsingen werden. Die menschliche Gesellschaft ist durch Umwälzungen endlich in den einheitlichen Weltraum hineingehoben. Um diesem leblosen Raum nicht zu erliegen, müssen fortan viele uns gehörende Rhythmen, also der Rhythmus der christlichen Ära, die Kalender des Jahrtausends, des Halbjahrtausends, der Großjahrhunderte, der Generation, des Sonnenjahres, des Tages, gleichzeitig in uns eintreten und durch uns hindurchschwingen.“39

Von der Vergangenheit zum Miterlebnis: „Out of Revolution“

Einen weiteren Akzent seiner Revolutionsschriften bildete die amerikanische, vollständig überarbeitete Ausgabe „Out of Revolution“. Aus seinen ersten Erfahrungen als Universitätslehrer in der Neuen Welt konzipierte er das Werk nicht für die akademische Welt Europas, sondern für die ganz anders ausgerichteten Erwartungen des amerikanischen Bildungsbetriebes. Im Anspruch ist das Werk wesentlich eingängiger geschrieben und spricht die Leser häufig direkt an: „Let us try to read world history as our own autobiography.“40 Für Eugen Rosenstock-Huessy ist Politik keine Theorie, sondern die Bühne vulkanischer Stunden und emotionaler Erfahrungen, gefährlich und extrem. Deshalb war das 20 Jahrhundert für Eugen Rosenstock-Huessy lange vor Eric Hobsbawm das Zeitalter der Extreme! In der Revolution erfahre der Mensch den Klimax seiner Erfahrungswelt. Diese extremen Momente seien selten und bildeten die Ausnahme. Die „Great Hours“ sind sicher nicht die Sternstunden Stefan Zweigs, dafür umso mehr die von Eugen Rosenstock selbst seit 1920 hervorgehobenen „Hochzeiten“, in Anknüpfung an die high times von Thomas Hobbes41, wie er in seiner begriffsgeschichtlichen Studie bemerkte: „Yet in the hours of danger the simplest emotions return and throw blind millions back into the ruts in which the car of destiny is driven.“ 42 Deshalb seien die wirklich großen Revolutionen „the test of the unity of mankind.“43 In dieser Phase ereigne sich etwas fundamentales für die Menschheitsgeschichte. Fundamentale Möglichkeiten werden zur Sprache, zum Ausdruck gebracht und damit sichtbar. Aber es werden in diesem revolutionären Prozess nicht zufällig irgendwelche Lebensformen zum Ausdruck gebracht. Nur die notwendigen (necessary) Revolutionen setzen sich langfristig durch, sie sind also keine Resultate einer beliebig wählbaren individuellen Meinung oder Ausprägung. Bis am Ende dieses Prozesses wirklich alle notwendigen Revolutionen repräsentiert sind. „But we found a deeper secret – the monologues of the different revolutionaries form a dialogue among themselves.“ Mit diesem Dialog der Völker und der immer weiter voranschreitenden wirtschaftlichen Integration der Menschheit erwachse allerdings im 3. Jahrtausend eine neue Gefahr. Die Gefahr der totalen Kontrolle durch betriebswirtschaftliche Sachzwänge, durch die totale Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche. Deshalb müsse sich gerade der moderne Mensch seiner ursprünglichsten Instinkte erneut versichern: „In the future many buried instincts will have to be revived in the white man if he is really to survive in this age of „childhood regained“ into which the senile world is plunging. Here senility is no metaphor. In this world of one-child families, old age pensions, birth control and the abolition of illness, youth is in a minority, with its proper contribution neglected, as was old age a thousand years ago.“44 Es müsse zu einer Balance zwischen globalen ökonomischen Fähigkeiten und lokalen Gruppenbildungen verschiedenster Art kommen: „It will become the pride of such a relapse to be anti-universal and limited to a single local or social group. Economy will be universal, mythology regional. Every step in the direction of organizing the world’s economy will have to be bought off by a great number of tribal reactions.“45 Schließlich sei es das charakteristische Merkmal echter Revolutionäre, „gegen den Strom zu schwimmen“.46 Und bei dieser Aufgabe könne keine Theorie helfen: „It was the political and intellectual blindness of the liberal economist to mistake his tools for ideals. It is clear that these systems are ideal types. In a way they are timeless. In reality some of them have always coexisted; not one of them can stand alone.“47 „Youth and adults, men and women, children and old men, will live and worship in different ways. This change during the course of life is becoming more and more the great issue for a mechanized world.”48

Insbesondere der deutschen Nation stellte sich aus seiner Revolutionsperspektive die Zukunft als Erziehungsnation:
Die Weltmobilmachung hat der einzelnen Nation in der Welt eine Aufgabe zuerkannt, Kraft deren die Nation eine neue, bisher unerhörte, dritte Gestalt gewinnt, Kirchennation im Mittelalter, Staatsnation in der Neuzeit, muß sich die Nation in der Endzeit des gesellschaftlichen Zustandes zur Erziehungsnation umbilden, zur Gegenspielerin gegen die hemmungslose Verwirtschaftung des Menschen.49

Ein Anspruch, den das geistig abgewirtschaftete Land im 3. Jahrtausend weniger denn je zu erfüllen in der Lage ist und dieser Niveauverlust erfaßt die Lehrer nicht weniger als die Schüler, von der immer absurder wuchernden Wissenschaftsbürokratie ganz zu schweigen.

Sven Bergmann

6. Brasilienreportage

Der Amazonasstaat leidet zur Zeit unter einer „SECA“, einer Dürre, wie sie nie bekannt war in der Geschichte. Amazonas Brücke

Am gefährlichsten – für uns alle – betroffen davon ist das Regenwaldsystem Amazoniens. Die erste und schlimmste Folge der Dürre ist der Kollaps des Flusssystems, der nicht einmal Halt macht vor Riesenflüssen wie dem Rio Negro, Solimoes, oder dem größten Nebenfluss des Amazonas, dem Rio Madeira. Surui-Krieger

In einem Zeitungs-Interview hatte Donato Nobre, Professor am brasilianischen Institut für Weltraumforschung, Sao Paulo, bereits vor mehr als einem Jahr gewarnt, „dass der Osten Amazoniens den Kipppunkt bereits überschritten“ habe,  das „Klima sich bereits so verändert hat, dass der Wald sich nicht mehr halten kann“. Und, in einer Botschaft an die gesamte Welt: „Ohne den Wald wird Brasilien zur Wüste. Aber das wird dann nicht nur für Brasilien das Ende sein“. Guardia Forestal

Unsere Forschungsgruppe „Sinnan“ hielt sich auf im Reservat der Paiter Suruí in Rondônia, um bei diesem befreundeten Stamm diese Krise mitzuerleben und gemeinsam mit ihnen eine „guarda florestal“, d.i. eine Regenwald-Wache zum Schutz des Waldes und der indigenen Kultur aufzustellen. Das Reservat liegt am südlichen Rand des Regenwaldsystems, wenige hundert Kilometer vom Rio Madeira entfernt.

„Os rios estão cheios de raiva“ – Die Flüsse sind voll des Zornes (Suruí)

Amazonas Regenwald Rio Madeira bei Porto Velho, Rondônia: Nebenfluss des Amazonas, zehntgrößter Fluss der Erde Das Wasser liegt hier faktisch auf dem Grund; man sieht die Sandbänke heraus kommen, und das bedeutet, dass sich kein Schiff mehr auf das Wasser wagt. Der gesamte Güterverkehr per Schiff für Soja– über Manaus nach Belem nach Europa und Asien – ist auf Grund gelaufen. Der Fluss fährt die Wirtschaft auf Ground Zero. Die gigantischen Wasserkraftwerke von Port Velho in der Nähe mussten 14  Tage mit der Stromproduktion aussetzen. Riesiges Fischsterben; aber dann, was es noch nicht gegeben hat: Anakondas versuchen sich Beute in der Großstadt zu holen. Mehrmals schon verschwanden Kleinkinder; inzwischen gibt es bei den „Bombeirros“ (Feuer-und Katastrophen-Wehr) eine spezielle Abteilung gegen Gefahren dieser Art   Ein Teil der Equipe der „Guarda des Waldes“, die mit wachen Augen – zu denen auch der Einsatz von Drohnen gehört, die illegale Invasoren meldet- das riesige Territorium der Paiter Surui strategisch durchstreifen

Claus Friese/GF
(Guarda Florestal)
25.OKT bis 14.NOV 2023

7. Brückenbauer in der Hölle der Politik

Ich erinnere an eine für das Verhältnis zu Rußland heute und morgen wichtige Bemerkung Eugen Rosenstock-Huessys aus dem Jahr 1920 in dem Text Politik in Weltaltern: Die Hölle der Politik:
„Wäre Politik ein Gedankending, eine Vernunftsache, so könnte diese mit Vorliebe bei den Angelsachsen gepflegten mehr oder minder salbungsvollen Ideale einer Rechts- und Verstandespolitik ja einfach an die Einsicht der Menschen mit sicherem Erfolg appellieren. Unglücklicher – oder glücklicherweise hat es aber die Politik mit ganz anderen Kräften zu tun, als mit denen des Verstandes. Furcht und Hoffnung, Hass und Liebe, Aussicht auf Gewinn, Scheu vor Verlust, harte Not und frecher Übermut, Verantwortungsgefühl und Leichtsinn sind die Triebe, aus denen alle Politik gespeist wird. Das sind keine Kräfte des Verstandes, es sind nicht im geringsten geistige Angelegenheiten; denen könnte man mit Ideen beikommen. Sondern es sind rein seelische Leidenschaften und Komplexe, die sich in der Politik entladen. Das ist ihr Unterschied von der Rechtsordnung. In der Politik ist „der Teufel los“, weil alle dämonischen Kräfte der Menschen in ihr entbunden werden. […] Mit keiner idealistischen Politik ist da zu helfen. - Es ist eine pharisäische Ader in allen Pazifisten usw.; sie tragen stolz in ihrem Kopf das Bild des Ideals, wo der Löwe und das Lamm zusammenliegen. Vor ihnen rast der Hexenkessel der Politik nur umso hoffnungsloser, je pharisäischer sie ihm ihr Kopfbild entgegenhalten. Ist also die Realität und das Ideal hoffnungslos voneinander geschieden? Muß man entweder ein blutleerer, pharisäischer, den Erdkräften entfremdeter Moralist sein oder aber ein zynischer in allen Wassern gewaschener Realpolitiker?
Um Politik in Weltaltern zu fordern und zu fördern, muss eine Entscheidung vorhergegangen sein, durch die wir uns aus den Verstrickungen in das blinde Tierreich der Leidenschaften herauslösen. Das neunzehnte Jahrhundert unternimmt tatsächlich einen solchen Versuch. Das vorliegende Heft versucht die auf deutschem Boden in dieser Richtung wirkenden Kräfte sichtbar zu machen. Indessen hat ein solcher Versuch seine großen Schwierigkeiten. Denn für das abgelaufene Jahrhundert sind es nicht die Deutschen, sondern die Russen, die allen übrigen Völkern mit diesem Kampf um die Erlösung der Politik vorangehen. Sie stehen im Vordergrund […]“.

Rosenstock-Huessy hat auf dem Hintergrund dieser seiner Einschätzung seinen Studenten und Mitwirker im Camp William James, Clinton Gardner, darauf orientiert Solowjov und Berdjajew zu studieren und Citizen Diplomacy mit Rußland aufzubauen. Ist es irritierend oder verwundernd, das Rußlands Präsident Putin 2014 an 5000 leitende Beamte Bücher von Solowjow und Berdjajew und Ilgin verschenkte? Wird darin etwa das Wissen um das russische Vorangehen im Kampf um die Erlösung der Politik sichtbar als Realität in Rußland heute? Rosenstock-Huessys Diktum aus der Hochzeit des Krieges und der Revolution (Kap. Ehrlos-Heimatlos) in dem er die Spaltung in national und international/liberal/demokratisch so bewertet: „Beide stellen eine richtige Frage, beider Antworten sind falsch.” Ich glaube, dass Rußland auf seinem Weg der Reflexion der Zerstörungen in seiner Begegnung mit Westeuropa im 19.Jahrhundert, die uns Hans Ehrenberg so tief erschlossen hat als Europäisierung Rußlands, dann in der westeuropäischen russischen Revolution, die nach Gardner „suchte jenseits der französischen Revolution die Grenzen von Nationen und Rassen zu überwinden“ (Letters 24) uns voraus ist. Rosenstock-Huessy schrieb: „die Geschichte der Völker folgt den eigentümlichen Druck- und Spannungsgesetzen des Lebens der Art. Die Weiterschaffung des Menschen in Rußland ist zweifellos der noch ursprungshaltigere, bedrückendere Vorgang als die wirtschaftliche Vormacht Amerikas. Amerika ist materiell der große beherrschende Faktor der uns bekannten, von uns mitgeschaffenen Welt. Geistig sind wir auf Amerika vorbereitet. Von Rußland her werden wir umgeschaffen und revolutioniert, weil dort die Schöpfungsgeschichte des Menschen weitergeht.“ (Europäische Revolutionen 1987, s.527) “Jede Revolution, so werden wir sehen, gebar einen neuen Typus Menschen der unter dem Bann eines neuen Imperativs lebte.” (Letters 26) „Die Russische Revolution des Proletariates war eine notwendige Reaktion auf die exzessive Macht, die die Weltbourgeoisie als Ergebnis der Französischen Revolution erreicht hatte.” (Letters 23). Ich stimme Gardner und Rosenstock-Huessy zu, „dass die russische und chinesische Revolution niemals wieder verglichen werden sollten mit den Konterrevolutionen des Faschismus und des Nazismus, wie so oft geschehen während des kalten Krieges durch die westlichen Antagonisten.”(Letters 6). Gardner nennt den neuen Faschismus der nach dem Krieg erstand: den militärisch-industriellen Staat gelenkt durch seelenlose Manager. (Letters 21)

Heutzutage sind Timothy Snyder, Marcin Skladanowski, Lukas Borzecki und andere jüngere Historiker m.E. durch ihre Geschichtserzählungen und vermittels ihrer Sponsoren erfolgreiche Verhinderer und Zerstörer des Wachstums des planetarischen Bewußtseins – insbesondere in Europa. Sie spalten die Völker anstatt Brücken zu bauen! (s.dazu: Atlantic Revolution). Das politische Joint Statement von Rußland und China hingegen vom Februar 2022 erinnert in seinen Orientierung sehr an die Orientierungen Eugen Rosenstock-Huessys, z.B. in Mad Economics or Polyglot Peace. Wie sehr die Rosenstock-Huessy Rezeption in Russland Ohren und Herzen gefunden hat, davon kann uns Alexander Pigalev eine Ahnung vermitteln.

Der 2023 verstorbene russische Philosoph Alexander Pigalev hat Rosenstock-Huessy kennengelernt, als in den 80er und 90er Jahren in der UdSSR und den USA sehr erfolgreich Volksdiplomatie praktiziert wurde. Er ist einer der besten Kenner und wichtigsten Weitersager in Rußland geworden. Dazu ein paar ausgewählte Hinweise:

Alexander Pigalev hat 1997 einen schönen gebundenen Band mit Aufsätzen Rosenstock-Huessys herausgegeben unter dem Titel: Eugen Rosenstock-Huessy: Gott zwingt uns zu sprechen. – Darin versammelte er die folgenden Aufsätze:

Er hat auch mitgearbeitet an der 1999 in USA und 2002 in Russland erschienenen russischen Übersetzung von „Out of Revolution“. Die Namen der Übersetzer erinnern uns an einige der Begegnungen Clinton Gardners in Russland: Vitaly Machlin, Oleg Osowsky, Alexander Pigalev, Igor Solomadin, Alexej Vasiolyev, Igor Yefimov.

Für die internationale Arnoldshainer Rosenstock-Huessy Konferenz 200550 hat Alexander Pigalev die russische Philosophietradition in ihrem Verhältnis zur Marktglobalisierung skizziert und für die Überwindung der Gegensätze Eugen Rosenstock-Huessy als den ‚tiefsten Denker bezeichnet, der die Probleme in ähnlicher Perspektive wie die russische religiöse Philosophie verstanden hat.’51 Er beschreibt damit Rosenstock-Huessy als Brückenbauer, wie ihn unsere von Hass und Dämonisierung und Gesprächsvernichtung geprägte Zeit dringendst braucht.
Lesen Sie selbst.

Thomas Dreessen

Alexander Pigalev + (Volgograd, Rußland)

Die russische Philosophietradition und die anthropologischen Aspekte der globalisierten Wirtschaft52

Wenn Philosophen und Soziologen über Prozesse der Globalisation sprechen, um ihr Wesen zu erfassen, stoßen sie auf viele Schwierigkeiten. Vor allem gibt es keine strenge Bestimmung des Begriffs der Globalisation, der sich nicht nur auf einzelne soziologische, ökonomische oder politische Aspekte bezieht, sondern das ganze Phänomen erfaßt und allgemein anerkannt wird. Manche Forscher spielen sogar sehr nachdrücklich auf den unbestimmten Charakter des Begriffs der Globalisation an, um die verborgenen Dimensionen globaler Veränderungen hervorzuheben. Danach sieht es dann so aus, als ob hinter der Tendenz nur die ökonomischen Aspekte der Globalisation zu betonen, die Absicht verborgen sei, einige wichtige Tatsachen zu verschweigen. Die Wahl der Termini bestimmt dabei viele theoretische Würdigungen, ebenso wie die praktischen Folgen der theoretischen Erwägungen.

Ich will nun nicht versuchen, eine strenge Definition der Globalisation zu formulieren. Die folgende Analyse, die sehr lapidar wird, betrifft nur die Beziehungen zwischen den anthropologischen Aspekten der globalisierten Wirtschaft und der russischen Philosophietradition. Es handelt sich darum, daß man sich die heutigen Prozesse der Globalisation nicht ohne Rußland vorstellen kann. Nichtsdestoweniger zeichnet sich das russische Weltbild durch die besondere Auslegung des Wesens des Menschen aus. Diese Auslegung ist mit der Tradition der russischen Orthodoxie verbunden, obwohl man vermuten kann, daß die verborgenen Stereotypen der prächristlichen slawischen Mentalität auch eine wichtige Rolle spielen. Gerade solche Faktoren bestimmen die Eigentümlichkeiten, die das Verhältnis der russischen Philosophietradition zur Globalisation charakterisieren.

In dieser Hinsicht besteht vor allem ein großer Gegensatz zwischen dem protestantischen Individualismus als der Voraussetzung des kapitalistischen Unternehmensgeistes und dem orthodoxen Kollektivismus, der nicht nur einen soziologischen, sondern auch einen anthropologischen Grund in der russischen Bauerngemeinschaft hat und die russische Mentalität prägte. Kann man dieser Gegensatz durch einen Dialog überbrücken? Ist der Geist dieses russischen Kollektivismus noch am Leben? Soll man ihn verneinen oder gar zu vernichten trachten, um Rußland ganz zum Teilnehmer der entwickelten westlichen Zivilisation zu machen?

Solche und ähnliche Fragen sind nicht neu, denn schon die Urheber der russischen Philosophietradition betrachteten sie als diejenigen von allergrößter Bedeutung. Der gespannte Zwiegesprach von Slawophilen und Westlern im XIX. Jahrhundert hat diese Fragen zum Hauptthema des russischen Denkens an den Tag gebracht. Seit dieser Zeit hat die russischen Philosophen alle Kräfte daran gesetzt, die betreffenden Probleme zu lösen, die schon von Anfang an anthropologische Dimensionen hatten.

Das Hauptthema der russischen religiösen Philosophie ist die Kritik des westlichen Individualismus als Ausdruck eines eigentümlichen anthropologischen Typus. Nach liberalistischer westlicher Auffassung ist Individualismus die nötige Voraussetzung der Marktwirtschaft, denn nur die „atomisierten“ autonomen Individuen als Nachfragende und Anbietende garantieren bei freiem Austausch eine Maximierung des Nutzens aller Subjekte. Sofern die Globalisation sich auf reine liberalistische Marktwirtschaft bezieht, hält die russische Philosophietradition die Tatsache für sehr wichtig, daß die Globalisation ohne Rußland kaum möglich ist. Und insofern sich die russische Philosophietradition im Rahmen der russischen Orthodoxie entwickelt hat, wurde der Gegensatz von Rußland und West als der Gegensatz von östlichem und westlichem Christentum betrachtet.

Ich glaube, daß der tiefste Denker, der diese Probleme in ähnlicher Perspektive verstanden hat, Eugen Rosenstock-Huessy ist. Deshalb ist sein geistiges Vermächtnis von großer Bedeutung für den Dialog zwischen Rußland und dem Westen. Genau wie die russischen Philosophen hat Rosenstock-Huessy den Individualismus der westlichen Kultur kritisiert, obwohl er seine Kritik in verwandelter Form der Gegenüberstellung von Monologismus und Dialogismus vorgetragen hat. Es ist sehr interessant, daß von Rosenstock-Huessy der Monologismus als der Folge des Strebens nach Allgemeingültigkeit oder „Allemaleins“ interpretiert wurde.

Rosenstock-Huessy schreibt: „„Das Allemaleins“ des Humanismus hat einen neuen Menschen geschaffen und einen neuen sozialen Verband: Wir nennen dies neuen Atom das Individuum, und das resultierende Molekül das Publikum […] Die meisten Menschen, und vor allen Dingen alle Humanisten (d.h. die Griechen von heute), sind sich dieser beiden Geschöpfe ihrer eigenen Künste beneidenswert unbewußt. Sie setzen das Individuuum allen Menschen gleich, und das Publikum ist ihnen nicht ein durch sie selber erst geschaffener und am Leben gehaltener Verband, sondern sie wähnen, daß die Menschkeit, von der sie sprechen, nämlich das Publikum, nicht nur die Summe aller Individuen sei, sondern auch dasselbe wie die Völker, das Menschengeschlecht, die menschliche Familie, und die Bewohner des Landes“.53

Rosenstock-Huessy charakterisiert auch die Besonderheiten der Begriffe Individualismus und Kollektivismus in der russischen Mentalität und in der russischen Philosophietradition: „Während in Europa jedes wirkende Individuum Repräsentant eines Standes oder einer Korporation war und durch sie oder ihre Rechte unterstützt wurde, vermochte in Rußland immer der einzelne nur als solcher zu wirken, nicht als ein Repräsentant einer Gattung. Solche Leute gingen aber in der Geschichte Rußlands vor Peter dem Großen fast spurlos verloren. Erst die vom Westen hereindringende Bildung schuf dem Einzelnen Wege zur gesellschaftlichen Wirkung. Nur literarischer Gedankenaustausch ermöglichte dem Einzelnen, Einfluß zu gewinnen. Deshalb übte der Dichter und der Literat in Rußland von jeher so großen Einfluß“54. Das betrifft nicht nur die russische Literatur, sondern auch die russische Philosophie, die sehr oft als eine Art von Literatur existierte.

Die Beobachtungen Rosenstock-Huessys erklären die Einheit von Philosophie und Literatur in Rußland. Nichtsdestoweniger gibt es auch die originelle russische Philosophietradition. Trotz des Einflusses des westlichen Denkens hat die russische Philosophie die wahren Aufgaben der russischen Kultur zu beschreiben versucht. Der Vorvater des eigenartigen philosophischen Denkens in Rußland, Wladimir Solowjov, hat eben der Kritik des westlichen Individualismus eine Aufmerksamkeit gewidmet. Schon in seiner Dissertation55 schrieb Solowjov, daß das Hauptfehler der westlichen Philosophie die Hypostasierung und die Isolierung der abstrakten Begriffe sei.

Die Folge solcher Prozesse der „Atomisierung“ der Gesellschaft ist die Schaffung, wie es schon gesagt wurde, der nötigen Voraussetzung der Marktwirtschaft. Der ältere Zeitgenosse Solowjovs, Nikolai Fjodorov, äußerte sich nachdrücklicher. Er schrieb, daß „das Werden der Welt zur Vorstellung des letzten Wortes des gelehrten Standes wurde“ und daß die Isolation jenes Standes das Produkt des „humanistischen“ Individualismus geworden sei. Deshalb wird das isolierte Subjekt zum Träger des individuellen und angeblich selbstzureichenden Bewußtseins, das am ökonomischen Austausch teilnimmt.

Die soziale und epistemologische Robinsonade ist der Hintergrund der westlichen philosophischen Anthropologie, der der Kollektivismus der russischen Kultur gegenübersteht. Es ist selbstverständlich, daß es auch im Rahmen der russischen Philosophietradition verschiedenen Tendenzen gibt, aber die einflußreichsten Figuren stehen dem westlichen Modell der sozialen und ökonomischen Robinsonade als der Grundfigur des Wirtschaftens gegenüber. Die Kritik der Hypostasierung der abstrakten Begriffe und Schemata beruht auf der entsprechenden Anthropologie.

Es gibt leider keine Möglichkeit hier eine ausführliche Auslegung der anthropologischen Aspekte der russischen Philosophiegeschichte vorzulegen. Nichtsdestoweniger kann man einige Ideen charakterisieren, um die ganze Mentalität zu beschreiben. Das ausdrücklichste Schema hat Pavel Florenskij konzipiert, obwohl er nur die besonderen theologischen Probleme besprach. Das Hauptwerk Florenskijs56 wurde eine orthodoxe Theodizee genannt, weil in der Reihe von Briefen, statt Kapiteln, die ganze Problematik der Theologie ebenso wie der philosophischen Anthropologie im Rahmen der Orthodoxie erfasst ist.

Für Florenskij ist die trinitarische Struktur Gottes der Archetypus der sozialen Struktur, und diese Feststellung verlangt die Abschaffung der Gesetze der formalen Logik, zuallererst des Gesetzes der Identität. Das Phänomen der christlichen Liebe ist interpretiert als die Überwindung der Isolation der selbstidentischen Persönlichkeit. Deshalb führt das orthodoxen Christentum zu einer Anthropologie, die mit den Forderungen der Marktwirtschaft unvereinbar ist. Man kann dieser Schluß detaillieren, aber das Resultat wird ein und dasselbe: es ist unmöglich auf dem Grund der kollektivistischen orthodoxen Anthropologie die Legitimität der Marktwirtschaft gewährleisten.

Wie allgemein bekannt ist, hat der Kapitalismus keine eigene Ethik außerhalb der Sphäre des ökonomischen Austausches, jedoch hat er sich die mittelalterliche christliche Moral zunutze gemacht. In der Tat ist die Ideologie des Egoismus und Hedonismus als die Kehrseite der protestantischen Ethik der Arbeit, Sparsamkeit und weltlichen Askese zerstörend, denn sie kann nicht die wahre Solidarität der Menschen begründen. Deshalb ist die russische Philosophietradition -mit Ausnahme nur einiger Denker - der kapitalistischen Ideologie (der Ideologie der freien Marktwirtschaft) gegenüber nicht nur fremd, sondern auch hyperkritisch und sogar feindselig.

Was kann man in solcher schwierigen Lage tun? Kann man den Dialog von Rußland und West gewährleisten? Kann und soll Rußland den Teil der westlichen Zivilisation werden? Ohne zusätzliche Vermutungen sind das die Streitfragen. In mancher Beziehung sind die Hauptzüge der russischen Mentalität und der russischen Philosophieradition mit der europäischen kulturellen Tradition ganz und gar unvereinbar, so daß jede Form des Dialogs und um so mehr des Zusammenrückens ausgeschlossen zu sein scheint.

Deshalb könnte Rußland das wesentliche Hindernis auf dem Wege der Globalisierung durch Marktwirtschaft sein. Ist das wirklich so? Die Antwort ist nicht eindeutig. Ist die die russische Mentalität völlig dem Prinzip von Marktbeziehungen entgegengesetzt? Es gilt zu unterstreichen, daß diese Gegenüberstellung von Natur anthropologisch (im Sinne der philosophischen Anthropologie) ist, obwohl sie als Unvereinbarkeit von russischer Orthodoxie und westlichem Protestantismus, d.h. als die Unvereinbarkeit grundlegender (religiöser) Ideologien aussieht. Soll das etwa bedeuten, daß der russische anthropologische Typus und bzw. die russische kollektivistische Mentalität wegen der Ziele der globalen Marktwirtschaft verändert oder sogar aufgegeben werden soll? Oder soll die westliche Kultur sich verändern?

Ungeachtet der konkretesten Form der Frage, betrifft sie nicht nur die russische Kultur, sondern auch alle sogenannten traditionellen Kulturen, die nicht von dem protestantischen Individualismus und Aktivismus begeistert waren. Die russische Philosophietradition hat vielleicht nur einen – theoretischen – Vorzug, insofern ihre Unvereinbarkeit mit westlichen protestantischen Werten schon reflektiert wurde. Was die praktische Seite der traditionellen und westlichen Werte anbetrifft, ist die islamische Welt in ihren Äußerungen viel kritischer, als die abstrakten Invektiven der russischen religiösen Philosophie es sind. Nichtsdestoweniger wurde eben im Rahmen der russischen Philosophietradition die Unmöglichkeit den anthropologischen Typus gewalttätig zu verändern, ohne Zerstörung der menschlichen Natur bewußt. Es gibt eine Schwelle der Haltbarkeit der menschlichen Natur, die man nicht überschreiten darf, wenn man die Einheit des menschlichen Wesens behalten will. Es scheint mir, daß eben die dialogische Philosophie Rosenstock-Huessys auf die Möglichkeit des Auswegs hinweist.

Man kann nicht diese Schwierigkeit überwinden, wenn man das Wesen und das Endziel der Globalisation nicht versteht. Das ist aber kein Geheimnis, daß es verschiedene Interpretationen der Faktizität selbst der Globalisation gibt. Manche Forscher sind auch zu naiv und glauben, daß die offenbare Unbestimmtheit des Begriffs der Globalisation nur wissenschaftliche (bzw. logische) Ursachen hat. Bei näherer Betrachtung kann man enthüllen, daß diese Unbestimmtheit sehr oft künstlich ist und ständig ideologische Anstrengungen erfordert.

Die Wahrheit besteht darin, daß der Begriff der Globalisation nicht nur vieldeutig ist, sondern auch ideologische Spiele veranlaßt. Man hat allen Grund anzunehmen, daß der versprochene Universalismus der globalisierten Kultur illusionär ist. Das zu verwirklichende Projekt der Globalisation scheint einseitig zu sein, und sein Ziel offenbart sich als die Unifikation der mannigfaltigen Kulturen nach dem westlichen (besonders dem amerikanischen) Muster. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die westliche (die amerikanische insbesondere) Kultur viele anziehende Züge hat, daß sie sehr dynamisch und lebensfähig ist. Sie ist aber nur das Beispiel einer lokalen Kultur, die man nicht als allgemeingültig anerkennen könnte.

Deshalb ist die Hauptaufgabe der Globalization nicht die Unifikation aller Kulturen nach einem einzigen und willkürlichen Muster, sondern der Aufbau der wahren Allgemeingültigkeit, so daß jede lokale Kultur ihren Platz in dieser polyphonischen Ordnung finden könnte. Die Marktwirtschaft ist das verhältnismäßig neutrale Element der globalisierten Kultur, und sie kann sogar der „Import“ sein. Die Schwierigkeiten fangen sofort an, sobald die globale Marktwirtschaft sich eine eigene fundamentalistische Ideologie schafft und z.B. die Prinzipien des Individualismus in eine Quasireligion oder Quasimythologie verwandelt. Die Marktwirtschaft kann nur der Teil der vielgestaltigen Ökonomik sein, so daß die anthropologischen Typen, die die Marktwirtschaft braucht, nicht unbedingt die herrschenden zu sein brauchen. Das Hauptverdienst der russischen religiösen Philosophie besteht darin, daß sie die Rolle des anthropologischen Faktors angesichts der neuen Aufforderungen der Weltgeschichte an den Tag gebracht hat. Die russischen religiösen Philosophen haben bewiesen, daß der Einbruch der fremden Kultur den anthropologischen Typus modifizieren und die gemischten Formen des kulturellen Lebens unterstützen kann, aber eben auch, daß ein herrschender anthropologischer Typus die unerläßlichen Schranken niederreißt. Die menschliche Natur ist plastisch, aber diese Plastizität ist nicht grenzenlos. Es gibt eine Schwelle der Plastizität der menschlichen Natur, die man nicht überschreiten darf. An dieser Schwelle kommt die Menschlichkeit selbst des Menschen in Verfall.

Die Position der russischen Philosophietradition ist mit der Behauptung von Rosenstock-Huessy einig, die die Zukunft des globalisierten Menschengeschlechts betrifft. In der englischen Version seines Buches über Revolutionen schrieb Rosenstock-Huessy: „A relapse toward the dawn of civilization is opposed to any world-wide generalization. It will become the pride of such a relapse to be anti-universal and limited to a single local or social group. Economy will be universal, mythology regional. Every step in the direction of organizing the world’s economy will have to be bought off by a great number of tribal reactions”.57

Um die Einheit der Positionen von Rosenstock-Huessy und der russischen Philosophietradition zu unterstreichen, kann ich nichts Besseres finden, als die prophetischen Worte Rosenstock-Hussys zu zitieren, die die Zukunft der globalen Marktwirtschaft charakterisieren. Rosenstock-Huessy schrieb: „Man can live as man only because he can choose various ways of approach to the organization of mankind. He cannot be limited to one social and economic system. Systems are man-made. In consequence of this truism, man can never be enslaved by his own tools. The whole talk of one-principle economy seems inhuman. The dynamic transition from one form of economy to another is the central problem for the individual members of society. Any working economy always has been and always will have to be a polyphonic economy, made up of different forms of work and development for the different phases of our life”.58

8. Neue Freunde und alte Bekannte

Die Reise des Archivs der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft geht weiter

Ohne daß ein Wechsel von Seiten der Gesellschaft beabsichtigt war, geht das Archiv der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft 2023 neue Wege, nach mehr als einem halben Jahrhundert Aufenthalt in Bielefeld-Bethel. Seit die Evangelische Kirche in Westfalen den 2011 geschlossenen Depositalvertrag aufgrund von Platzmangel kündigen mußte, prüfte der Vorstand verschiedene Alternativen für den Bestand. Nach vielen Gesprächen und dem inzwischen abgeschlossen Umzug kann von erfreulichen Perspektiven für die weitere Erschließung der Nachlässe von Eugen Rosenstock-Huessy und seinem Bielefelder Freund Georg Müller gesprochen werden. Über ein halbes Jahr erstreckten sich 2023 die Sichtungs-, Pack- und Transportarbeiten. Rund einhundert Umzugskartons gingen auf die Reise nach Marbach und Witzenhausen, Manuskripte, Dokumente, Bücher sowie diverse Bilder, eine von Sabine Bonhoeffer-Leibholz gestaltete Büste von Eugen Rosenstock-Huessy. Während das Deutsche Literaturarchiv in Marbach den engeren Nachlaß übernommen hat, wanderten die Archivalien Georg Müllers, eines Teilnehmers des legendären Treffens auf dem Hohen Meißner 1913, ins 1922 gegründete Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Schloß Ludwigstein bei Witzenhausen in Hessen. Die im Zusammenhang mit der Aufbauschule in Bielefeld stehenden Materialien verbleiben in Bielefeld und wurden vom Hauptarchiv in Bethel übernommen. Mit der neuen Konstellation verbindet die Gesellschaft die Hoffnung, daß die Erschließung der Archivalien im Kontext anderer Geistesgrößen oder im Kreis der Jugendbewegung neue Früchte tragen wird. Immerhin fiel der Umzug aus dem westfälischen Bielefeld ins schwäbische Marbach am Neckar ins fünfzigste Todesjahr von Eugen Rosenstock-Huessy sowie in das sechzigste Gründungsjahr der Eugen Rosenstock-Huessy-Gesellschaft. Nur die Zeit kann erweisen, ob es sich um eine Etappe handelt oder ob die Offizierskiste aus dem ersten Weltkrieg in der die meisten Originaldokumente über den zweiten Weltkrieg gerettet werden konnten, das Reiseziel erreicht hat.

Für einen guten Start sorgte noch im gleichen Jahr die erste Mitgliederversammlung der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft in Marbach. Neben der Tagung im Kollegienhaus erlaubte das Deutsche Literaturarchiv einen Blick hinter die Kulissen und in ihre Magazine. Da das Marbacher Literaturarchiv keine Präsenzbibliothek ist, erhalten nur wenige Besucher Einblick in die Organisation rund um den Lesesaal. Frau Krusche vom Literaturarchiv, die mit ihren Kollegen schon den fachgerechten Umzug der Archivalien betreut hatte, führte die Besucher durch das Haus auf der Schillerhöhe. Neben dem neuen Standort des Nachlasses von Eugen Rosenstock-Huessy konnten die Besucher einen Blick in das hauseigene Tonstudio, die Büchermagazine sowie das Bilder- und Büstendepot werfen. Immerhin beherbergt Marbach mehr als 1,5 verzeichnete Medieneinheiten, sodaß inzwischen fast die gesamte Schillerhöhe unterkellert ist. Neben Büchern, schriftlichen Aufzeichnungen und Drucken werden auch alle andere Medienarten, wie Tonbänder, Cassetten, Plakate Zeitungsausschnitte oder digitale Datenträger möglichst im Originalzustand bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit gelagert und für die interessierte Öffentlichkeit bereitgestellt.

Besonders hoffnungsfroh stimmt der Anspruch der Marburger Dokumentare, daß im Falle einer Aufnahme eines Bestandes auch sämtliche biographischen und thematischen Bezüge aus damit verbundenen Überlieferungen erschlossen werden, wie etwa die Belege zu Eugen Rosenstock-Huessy, die sich im Nachlass von Carl Zuckmayer finden lassen.

Sven Bergmann

9. Mitgliederversammlung in Marbach am Neckar

Die Mitgliederversammlung 2023 der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft stand ganz im Zeichen der Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Im 60. Gründungsjahr der Gesellschaft und im Gedenken an den 50. Todestag verband die Tagung Zukunft und Vergangenheit. Unter dem Motto: „Natürlich, künstlich, oder unbezahlbar? Leben und Arbeiten im Kreuz der Wirklichkeit“ lag das letzte Kapitel der Neuausgabe von „Der unbezahlbare Mensch“ der diesjährigen gemeinsamen Lektüre zugrunde. Das Thema bot sich umso eher an, als gerade diese Schrift viele aktuelle Gegenwartsfragen vorwegnimmt und vor den Gefahren eines Machbarkeitsglaubens warnt. Dabei ist Eugen Rosenstock-Huessy alles andere als ein Feind von technischen Innovationen oder naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Er warnt nur davor, den Menschen als reines Individuum zu verstehen und ihn als berechenbare Sache zu mißdeuten: „Wie sie sich spalten in Geschlecht, Lebensalter, Hautfarbe, Broterwerb, Talenten, Sprachen und Schicksalen, Nationen, möchte man daran verzweifeln, alle vom Weibe Geborenen in Einheit zu bringen und länger als einen Tag in Einheit zu bringen und länger als einen Tag in Einheit zu erhalten.“59 Angesichts der Diskussionen über angeblich künstliche Intelligenz oder ach so modernen Identitätsdebatten wirken viele Passagen so frisch wie bei den Lowell Lectures 1935 oder 1955 bei der ersten deutschen Ausgabe des Textes: „Das Urerlebnis Rosenstocks ist das der schöpferischen Kraft des artikulierten Wortes, das seine höchste Offenbarung in den Texten der vier Evangelien und der kirchlichen Liturgien erfährt. Das artikulierte Sprechen, dem Rosenstock seit einem haben Jahrhundert den Hauptteil seines Erkenntnisbemühens gewidmet hat, ist nicht zu verwechseln mit dem gleichsam „natürlichen“ Hervorbringen von Lauten in der Tierwelt und der Kinderstube. In ihm wurzeln Seele und Geist des Menschen, wobei unsere Begriffsbildung stets von der ursprünglichen Kraft der Namensgebung und des lebenschaffenden, abgewandelten und abwandelnden Wortes sich herleitet.“60 Außerdem charakterisierte Georg Müller den Text als „verheißungsvolle Vorankündigung seines soziologischen Hauptwerkes, das demnächst in einem deutschen Verlag erschienen wird.“ In besonders treffenden Worten und plastischen Bildern beschrieb Otto Kroesen das Menschenbild von Eugen Rosenstock-Huessy und zeichnete spontan eine Skizze der verschiedenen Lebenskreise eines Menschen in ihren Zeitdimensionen. Mit Tieren und Pflanzen teilt der Mensch seine materiellen, mechanischen elementaren Lebensfunktionen. Aber erst die dazukommenden Sphären der Arbeit, des Zusammenlebens, der Liebe und des Glaubens lassen den Menschen seine ganze Bestimmung ausfüllen. Und nur bei einer Befriedung zwischen Du und Ich kann neues Leben gezeugt werden. Alle Ebenen haben ihre eigenartige Zeit, die von der belanglosen Unendlichkeit, über die Eintäglichkeit bis zu mehreren Jahren oder ein Leben lang von Bedeutung sind.

In Marbach bot sich den Mitgliedern ein nicht alltäglicher Einblick in die Werkstatt des Deutschen Literaturarchivs. Bei einem Rundgang durch den Hügel unter dem Schillerdenkmal öffneten Frau Krusche und ihre Kolleginnen und Kollegen ihre Magazine und Keller für die Besucher. In Bearbeitung befand sich gerade die Bibliothek von Ernst Jünger und auf den grünen Archivkartons klebten die Etiketten des jüngst eingelagerten Nachlasses von Reinhard Koselleck. Aber man sollte in Marbach gar nicht erst beginnen, einzelnen Namen anzuführen. Des Aufzählens wäre kein Ende. Das die Archivalien in Marbach für ein langes Leben unter optimalen Bedingungen gelagert werden versteht sich von selbst. Eine Besonderheit besteht in der Kontextualisierung des Archivgutes. Wenn in Marbach ein Nachlass gesammelt wird, werden auch alle Querverbindungen zu anderen Namen, Institutionen oder Projekten aufgeschlüsselt, sodaß das gesammelte Gold von Tag zu Tag mehr glänzt. Dabei sammelt das Archiv alle Formen von Datenträgern und verfügt über ein eigenes Tonstudio zur Langzeitarchivierung von Schallaufzeichnungen. Es versteht sich von selbst, daß der Umgang mit digitalen Datenträgern einen immer breiteren Raum einnimmt. Bei einem Besuch im Deutschen Literaturmuseum in der Nachbarschaft sorgte ein ganz anderes Verständnis von Klassikerpflege für Erheiterung. Im 19. Jahrhundert wurden wertvolle Handschriften in immer mehr Einzelteile zerfleddert, um sie entweder teuer zu verkaufen, oder um Anteil an der Aura von Schiller, Hölderlin oder Kleist zu erhalten. Möge diese Form der Heldenverehrung Vergangenheit sein.

Lagen die Orte der letzten Versammlungen nördlich der Mainlinie, so bot die diesjährige Tagung einigen langjährigen Mitgliedern der Gesellschaft aus Süddeutschland die Gelegenheit , alte Kontakte wieder aufzufrischen. Für den reibungslosen Ablauf, Unterbringung und Verköstigung im Marbacher Kollegienhaus hatte Thomas Dreessen diesmal mehr als den üblichen Organisationsaufwand zu schultern, mit Erfolg. Und so wird die Marbacher Tagung der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft noch lange in Erinnerung bleiben.

Sven Bergmann

10. Vormerken der Jahrestagung 11.10. - 13.10.2024

Die Jahrestagung findet vom Freitag 11.10. - Sonntag 13.10.20242 im Haus am Turm, Essen statt. Das Tagungsthema werden wir noch mitteilen. Bitte merken Sie den Termin vor.

Jürgen Müller

11. Adressenänderungen

Bitte senden sie eine eventuelle Adressenänderung schriftlich oder per E-mail an Thomas Dreessen (s. u.), er führt die Adressenliste. Alle Mitglieder und Korrespondenten, die diesen Brief mit gewöhnlicher Post bekommen, möchten wir bitten, uns soweit vorhanden, ihre Email-Adresse mitzuteilen.

Thomas Dreessen

12. Hinweis zum Postversand

Der Rundbrief der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft wird als Postsendung nur an Mitglieder verschickt. Nicht-Mitglieder erhalten den Rundbrief gegen Erstattung der Druck- und Versandkosten in Höhe von € 20 p.a. Der Versand per e-Mail bleibt unberührt.

Thomas Dreessen

zum Seitenbeginn

  1. Rasit Bal, Tweestatenoplossing is geen oplossing want Palestijnen willen geen staat, Trouw, 3-11-2023.  2

  2. Ayittey, G.B.N., 2006. Indigenous African Institutions, 2nd Ed., Transnational Publishers, USA.  2

  3. Ein gutes Beispiel ist die Erfindung des Faxgerätes. Solange verschiedene Hersteller versuchten, ihr eigenes Faxgerät als Standard zu vermarkten, wurden Faxgeräte wenig genutzt. Erst als die verschiedenen Marken ihre Produkte kompatibel machten, wurde das Faxgerät ein Erfolg. So Misa, T. J., 2004. Leonardo to the internet – Technology and culture from the Renaissance to the present. Baltimore and London, Hopkins University Press, pp.236-239.  2

  4. Diese zeitlich begrenzte, aber intensive Einbindung von Arbeitsteams war die Idee hinter der Umwandlung von Werkstätten in halbselbstständige Unternehmen in Rosenstock-Huessy, E., 1997.Werkstattaussiedlung – Untersuchungen über den Lebensraum des Industriearbeiters, Brendow, Moers (Orig. 1922).  2

  5. Buber ist am bekanntesten geworden und hat damit die Bezeichnung “dialogische Methode” geliefert. Rosenstock-Huessy selbst spricht immer von der grammatikalischen Methode. Die verschiedenen Modi der Grammatik beugen uns vor. Die Bezeichnung “grammatikalische Methode” betont also mehr, dass wir, so sehr wir in der Grammatik gefangen sind, nicht ohne weiteres die Initiative in unserem eigenen Sprechen haben.  2

  6. Das folgende Buch behandelt diese Frage für den afrikanischen Kontinent. Kroesen, J. Otto, Darson, R., Ndegwah J. David, 2020. Cross-cultural Entrepreneurship and Social transformation: Innovative Capacity in the Global South, Lambert, Saarbrücken, 331pp. 

  7. Rosenstock-Huessy, E. 2001, Friedensbedingungen der planetarische Gesellschaft: zur Ökonomie der Zeit, Ed. Rudolf Hermeier, Agenda Verlag, pp.103-113. 

  8. Rosenstock–Huessy, E., 1989. Die Europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Moers, Brendow (Orig. 1931), pp.491 ff. 

  9. Rosenstock-Huessy, E., 1926. Vom Industrierecht, Rechtssystematische Fragen, Sack, Berlin, Breslau, Kapitel 5, Mächte, Kräfte, Namen und juristische Personen, pp.76 ff. 

  10. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989, München: C.H. Beck 2023, S.142ff.  2

  11. Moritz Rudolph, Tocqueville global. Das Phantom des schrecklichen Westens, in: Merkur, 77.Jg., H.893 (2023, Okt.), S.84-91. Eine relativen Niedergang des Westens konstatiert auch Heinrich August Winkler: Ders., „Wir haben es mit einer Weltkrise zu tun“, in: Handelsblatt Nr.243 v. 15.12.2023.  2

  12. Eugen Rosenstock, Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena: Eugen Diederichs Verlag 1931, S.IV.  2

  13. Eugen Rosenstock-Huessy, Out of Revolution. Autobiography of Western Man, New York: William Morrow 1938, S.720.  2

  14. Eugen Rosenstock-Huessy, Die Zeitweiligkeit der Sprache, in: ders., Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen, Bd.1, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1963, S.695/696.  2

  15. Ernst Vollrath, Revolution und Konstitution als republikanische Grundmotive bei Hannah Arendt, in: Hannah Arendt und die Berliner Republik. Fragen an das vereinigte Deutschland, Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S.136.  2

  16. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989, München: C.H. Beck 2023. Vgl. auch: Heinrich AugustWinkler, Der Fortschritt als Fessel. An ihrem Anfang stehen tiefe Systemkrisen: Was die deutschen Revolutionen von 1848, 1918 und 1989 miteinander verbindet, in: FAZ 290 v. 13.12.2023.  2

  17. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989, München: C.H. Beck 2023, S.145.  2

  18. Crane Brinton, Anatomie der Revolution <1938>, hrsg.v. Manfred Lauermann, Wien; Leipzig: Karolinger Verlag 2017.  2

  19. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989, München: C.H. Beck 2023, S.129.  2

  20. Crane Brinton, The Lives of Talleyrand, New York 1936. In einem wenig schmeichelhaften Vergleich hat Eugen Rosenstock-Huessy Carl Schmitt mit dem durchtriebenen Talleyrand verglichen. 

  21. Crane Brinton, Rez. Out of Revolution. Autobiographie of Western Man, by Eugen Rosenstock-Huessy, in: Political Science Quarterly, Vol. 54, No. 2 (1939, Jun.), S.286-288. Eugen Rosenstock-Huessy, Rez.v. The Anatomy of Revolution by Crane Brinton: Six Contemporaneous Revolutions by Roger Bigelow Merriman, in: The American Historical Review, Vol. 44, No. 4 (1939, Jul. 24), S.882-884. 

  22. Eugen Rosenstock-Huessy, Rez.v. The Anatomy of Revolution by Crane Brinton: Six Contemporaneous Revolutions by Roger Bigelow Merriman, in: The American Historical Review, Vol. 44, No. 4 (1939, Jul. 24), S.882-884. 

  23. Eugen Rosenstock, Das Geschichtsbild der europäischen Parteien. Eine Erörterung (August 1917), in: ders., Die Hochzeit des Kriegs und der Revolution (Der Bücher vom Kreuzweg erste Folge), Würzburg: Patmos-Verlag 1920, S.37ff. 

  24. Franz Rosenzweig an Eugen Rosenstock, 15.12.1917, in: Franz Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, hrsg.v. Rachel Rosenzweig und Edith Rosenzweig-Scheinmann, unter Mitwirkung von Bernhard Casper, 1. Bd. 1900-1918 (= Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Gesammelte Schriften; Bd.I), Haag: Martinus Nijhoff 1979, S.490. 

  25. Die in der Literatur zur Spengler-Rezeption bisher vollkommen übergangen worden ist. Einordnung bei: Wolfgang Ullmann, Die Entdeckung des neuen Denkens. Das Leipziger Nachtgespräch und der Briefwechsel über Judentum und Christentum zwischen Eugen Rosenstock und Franz Rosenzweig, in: stimmstein. Jahrbuch der Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft, Bd.2, hrsg.v. Bas Leenman, Lise van der Molen, André Sikojev, Eckart Wilkens, Moers: Brendow Verlag 1987, S.175ff. 

  26. Lenin, Staat und Revolution. Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution, Berlin-Wilmersdorf: Verlag der Wochenschrift Die Aktion (Franz Pfemfert) 1918. Der Zusammenhang von Weltkrieg und Weltrevolution war schon von Karl Marx und Friedrich Engels blutrot an die Wand gemalt worden. 

  27. Hans Thieme, Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 106. Bd. (1989), S.9. zuerst in: Hans Thieme, Die Epochen des Rechts, in: JZ, 8.Jg., Nummer 14/15, 31. Juli 1953, S.418/419. Der Aufsatz von Eugen Rosenstock-Huessy zur Periodisierung erschienen zuerst in der Zeitschrift der Volkshochschulbewegung: Rosenstock, Eugen, Der Neubau der deutschen Rechtsgeschichte, in: Die Arbeitsgemeinschaft, 1.Jg., H.5, (1919, Nov.), S.133-140; Ders., Der Neubau der deutschen Rechtsgeschichte, in: Die Arbeitsgemeinschaft, 1.Jg., H.6, (1919, Dez.), S.172-181. 

  28. Eugen Rosenstock-Huessy, Die Einheit des Europäischen Geistes, in: ders., Das Geheimnis der Universität. Wider den Verfall von Zeitsinn und Sprachkraft. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1950 bis 1957, hrsg.v. Georg Müller, Stuttgart: W.Kohlhammer Verlag 1958, S.71. 

  29. Max Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 1915-1920, hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer (= MWG I/19), Tübingen: J.C.B.Mohr(Paul Siebeck) 1984, S.226. Meins Wissens harrt seine Deutung einer „niederländischen“ Revolution noch einer Ausdeutung als länderübergreifende Reformation. 

  30. Siegmund Hellmann,, Die großen europäischen Revolutionen. Eine Gegenwartsstudie, München und Leipzig: Duncker & Humblot 1919. 

  31. Georg Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung, Berlin: Verlag von O. Häring 1906, S.29. 

  32. Gustav Radbruch, Wilhelm Meisters sozial-politische Sendung. Eine rechtsphilosophische Goethe-Studie, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, 8.Jg., H.2 (1919-20), S.159. 

  33. Imanuel Geiss, Vorwort, in: Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft 2. Revolution – Ein historischer Längsschnitt, hrsg.v. Imanuel Geiss; Rainer Tamchina, München: Carl Hanser Verlag 1974, S.7. 

  34. Eugen Rosenstock, Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena: Eugen Diederichs Verlag 1931, S.23. 

  35. Eugen Rosenstock, Wie lange noch Weltgeschichte, in: ders., Das Geheimnis der Universität. Wider den Verfall von Zeitsinn und Sprachkraft. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1950 bis 1957, hrsg.v. Georg Müller, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1958, S.216. 

  36. Eugen Rosenstock, Revolution als politischer Begriff in der Neuzeit, Sonderausdruck aus der Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Breslau für Paul Heilborn zum 70. Geburtstag, Breslau: M.u.H. Marcus 1931, S.83-124, hier S.36. Der Beitrag erschien auch als Sonderabdruck mit anderer Seitenzählung. 

  37. Richard Lefebvre des Noettes, La Force Motrice Animale à traverse les ages, Nancy; Paris; Strasbourg: Berger-Levrault 1924; Richard Lefebvre des Noettes, La „Nuit“ du Moyen Age et son Inventaire, in: Mercure de France, 43 Année, No. 813 (1932, Mai), S.572-599. 

  38. Eugen Rosenstock, Wie lange noch Weltgeschichte, in: ders., Das Geheimnis der Universität. Wider den Verfall von Zeitsinn und Sprachkraft. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1950 bis 1957, hrsg.v. Georg Müller, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1958, S.216. 

  39. Eugen Rosenstock, Der Datierungszwang und Giuseppe Ferrari (1812-1876), in: ders., Das Geheimnis der Universität. Wider den Verfall von Zeitsinn und Sprachkraft. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1950 bis 1957, hrsg.v. Georg Müller, Stuttgart: W.Kohlhammer Verlag 1958, S.43. 

  40. Eugen Rosenstock-Huessy, Out of Revolution. Autobiography of Western Man, New York: William Morrow 1938, S.8. 

  41. Eugen Rosenstock, Revolution als politischer Begriff in der Neuzeit, Sonderausdruck aus der Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Breslau für Paul Heilborn zum 70. Geburtstag, Breslau: M.u.H. Marcus 1931, S.40. 

  42. Eugen Rosenstock-Huessy, Out of Revolution. Autobiography of Western Man, New York: William Morrow 1938, S.710. 

  43. ebenda S.712 

  44. ebenda S.717 

  45. ebenda S.718 

  46. ebenda S.719 

  47. ebenda S.719 

  48. ebenda S.730 

  49. Eugen Rosenstock, Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena: Eugen Diederichs Verlag 1931, S.529ff. 

  50. Globale Wirtschaft und Humane Gesellschaft – Ost-, West- und Südprobleme; hg. Von Rudolf Hermeier, Mark M.Huessy und Valerij Ljubin,Münster 2006, isbn 13: 978-3-89688-298-1 

  51. Anmerkung TD: Eine weitere große Nähe finde ich in der ökumenischen Missionserklärung des Weltkirchenrates 2012: Together towards life, mission and evangelization in changing landscapes, dort: 91.94 u.ö. 

  52. Vortrag 2005 Internationale Eugen Rosenstock-Huessy Konferenz: Globale Wirtschaft und humane Gesellschaft Ost-, West- und Südprobleme Hg. R.Hermeier,M.Huessy, V.Ljubin ISBN 13-978-3-89688-298-1 

  53. E. Rosenstock-Huessy. Soziologie. Bd. 2. Die Vollzahl der Zeiten. Stuttgart, 1958. S.215-216. 

  54. E. Rosenstock-Huessy. Die europischen Revolutionen und der Charakter der Nationen. Moers, 1951,1987. S.451. 

  55. W. Solowjov. Die Krise der westlichen Philosophie- gegen die Positivisten (Diss. 1874, russ.). 

  56. P. Florenskij. Die Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit. Dt. in N. Bubnoff u.H. Ehrenberg (HG): Östliches Christentum. München 1925. II 28ff (Auswahl – in zwölf Briefen) 

  57. E. Rosenstock-Huessy. Out of Revolution: Autobiography of Western Man. Providence, 1993. P.718. 

  58. Ebd. P. 732. 

  59. Rosenstock, Eugen, Das Herz der Welt. Ein Maßstab für Politik, in: Kirche und Wirklichkeit. Ein katholisches Zeitbuch, hrsg.v. Ernst Michel, Jena: Eugen Diederichs Verlag 1923, S.241-265; S.241ff. 

  60. Georg Müller, Der Mensch im Kreuz der Wirklichkeit, Rez. Eugen Rosenstock-Huessy, Der unbezahlbare Mensch, in: Zeitwende, 26. Jg. (1955), S.777.